Full text: Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit bis zum Westfälischen Frieden (Teil 2)

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nahm der Löwe denselben an; aber rasch flog die Mücke in seine Nasenlöcher und 
zerstach ihm diese dergestalt, daß er voller Wuth mit seinen eigenen Klauen sich zer— 
fleischte und nach langem, fruchtlosem Sträuben doch endlich gestehen mußte, er sei 
iberwunden. Denn auch Schwäche besiegt durch Geschicklichkeit oder List zuweilen 
den Starken; darum poche dieser nie auf seine Kraft! 
Nicht wenig stolz auf ihren Sieg, schwang sich nun die Mücke empor und eilte, 
diesen Triumph ihren Gespielen, oder womöglich dem ganzen Walde zu verkündigen. 
Doch in dieser Eile sah sie das Gewebe einer nahen Spinne nicht, ward verstrickt 
und mußte nun einen Tod erleiden, der ihr um so schmerzlicher fiel, je verächtlicher 
dieser zweite Feind gegen den ersten, überwundenen war. 
Barum überhebe dich nie deines Glückes! Stolz und Unvorsichtigkeit sind des 
Unterganges gewöhnliche Vorboten. 
b. Ver junge Hahn, welcher srei sein will. 
Kaum war ein junger Hahn ein wenig herangewachsen, kaum war das Feder⸗ 
kleid ein wenig schön geworden, kaum konnt' er zur Noth schon krähen, obwohl lange 
noch nicht so gut wie der Papa, so gab er nichts mehr auf Lehren und gute Worte 
der Eltern und nichts auf das Zurückscheuchen der Hofmagd; er wollte auf dem Hofe 
nicht bleiben, sondern flog über die Planken und lief im Felde und in den Wiesen 
umher, oder richtete Unfug in den Gärten der Nachbarn an, obwohl ihn die Kinder 
oftmals mit Steinwürfen in Furcht setzen wollten. Wenn er dann zur Futterzeit 
wieder zurückkehrte und auf die Planke geflogen war, krähte er, so gut er's vermochte, 
sein „Kleriki!“ — als hätt' er groß Ding gethan, und dacht in seinem Herzen, er 
sei ein freies Wesen und brauche niemandem zu folgen, — er könne thun, was ihm 
beliebe, denn er sei ja schon etwas. 
Drei oder viermal hatte ihn die Magd wieder zurückgescheucht und ihm heil— 
same Warnung gegeben, fein auf dem Hofe zu bleiben. — Aber er gab nichts darauf 
und sagte: „Ich bin frei, ich thue, was ich will.“ 
Da erwischte ihn die Magd einmal beim Flügel und steckte ihn in einen ge— 
räumigen Hühnerkorb. „Kecker Bursche“, sagte sie, „da sitze! Niemand in der 
Welt darf thuͤn, was er will, sondern muß erst darauf sehen, was er thun soll!“ — 
Da saß der kühne Patron, der frei sein und nach seinem Belieben und nicht nach 
Ordnung und Regel thun wollte, was sich gebürt; da saß er und sah trübselig zu, 
wie alles Geflügel auf dem Hofe so lustig und vergnüglich dahin und dorthin ging, 
oder stand und saß. — Er aber war eingesperrt. 
c. Vas alkernde Koß und sein Gesährke. 
Ein schönes Pferd war lange Zeit das Leibroß eines Reichen gewesen, hatte 
Futter vollauf und selten Arbeit gehabt; war bewundert und geliebkost worden, so 
oft es seinen Herrn trug. Jetzt ward es allmählich alt, sein Besitzer starb, und der 
Erbe verkaufte es zum Pflug. 
Traurig that das Pferd jetzt seine Pflicht; traurig genoß es sein freilich viel 
schlechter gewordenes Futter. 93— als es halblaut über sein Schicksal klagte, ver— 
suchte das andere Roß, das neben ihm zu ziehen und zu stehen pflegte, einige 
Woͤrte des Trostes: „Sind wir nicht“, spräch dasselbe „von der Natur selbst zur 
Abeit bestimmt? Haben wir nicht wenigstens unsere tägliche Nothdurft? Gibt es 
nicht tausend Geschöpfe, die noch übler daran sind? Warum willst du dein Leben 
dir noch mehr verbittern?“ — „O, du hast Recht“, erwiederte jenes, „doch nur 
Recht an delner Stellel Auch ich würde sprechen, wie du sprichst, wäre ich von 
Jugend auf an diese Arbeit gewöhnt. Aber nicht mein jetziges Schicksal allein, der große 
Äbsland zwischen jetzt und ehemaͤls ist mir so schmerzlich ist mir beinahe unerträglich.“ 
Wünsche dir nicht ein allzu glückliches Loos, wenn es nicht auch dauerhaft sein 
kann; denn der ist wahrlich am glücklichsten, der nie bessere Tage kannte.
	        
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