158 Das römische Kaisertum. Von Augustus bis Romulus Augustulus.
den Ehrennamen Germanicns (Besieger der Germanen) trug, befehligte
die Legionen am Rheine. Er unternahm drei Feldzüge über diesen
Strom, drang tief in Germanien ein, bestattete in dem Teutoburger
Walde die Gebeine der mit Varus Erschlagenen, besiegte den Armin in
einer großen Schlacht an der Weser, erlitt aber auch große Verluste und
wurde von Tiberius nach Rom abberufen, als er einen vierten Feldzug
unternehmen wollte. Er war nämlich wegen seiner ritterlichen Tapferkeit
und seines freundlichen Wesens der Liebling der rheinischen Legionen,
des starken, stolzen Heeres, das ihn auf seinen Wink zum Kaiser aus-
gerufen und ihm den Thron erkämpft hätte. Germanicus blieb jedoch
treu; Tiberius aber hielt nicht für geraten, ihn an der Spitze des Heeres
zu lassen: darum berief er ihn zurück, ließ ihn im Triumphe in Rom
einziehen und entsandte ihn hierauf nach Asien, wo er von einem Ver-
trauten des Kaisers vergiftet wurde. Seine Witwe Agrippina
blieb mit ihren Kindern in Rom; Seianus verdächtigte sie bei Tiberius
und Agrippina mußte sterben; desgleichen ihre zwei Söhne. Der Günst-
ling wagte, nachdem dieses Verbrechen gelungen war, selbst nach der
Herrschaft zu streben, vergiftete des Kaisers einzigen Sohn, den jungen
Drnsus, und schmeichelte sich bei den Prätorianern ein; aber nun er-
fuhr Tiberius, was sein Vertrauter gethan hatte, und da kannte seine
Wut keine Grenzen; nicht nur Sejanus wurde schmählich hingerichtet,
sondern auch dessen zahlreiche Freunde, vornehme wie geringe, und nicht
nur sie, sondern auch deren Familien. Der alte lasterhafte Tyrann
war vollends Menschenfeind geworden nnd wütete fort, bis er, tätlich
erkrankt, von C. Cäsar Caligula, dem noch übrigen Sohne des Ger-
manicns, mit Kissen erstickt wurde. Das geschah auf Capreä (Capri
bei Neapel), wo Tiberius die letzten 11 Jahre zugebracht hatte.
Waroöod und Armin.
§ 16. In die Regierungszeit des Tiberius fällt der erste große
Krieg, den die Germanen gegeneinander führten.
Als die Römer unter Augustus sich am Rheine festsetzten und ihre
Herrschaft über die Alpen bis an die Donau ausdehnten, wohnten die
Markomannen (d. h. Grenzmänner) zwischen der Donau und dem
Main. Zur Zeit, wo Drusus ihre nördlichen Nachbarn, die Chatten,
mit Feuer und Schwert heimsuchte, während die Römer jenseits der
Donau feste Städte und Kastelle erbauten, sahen sich die Markomannen
auf drei Seiten von der römischen Macht umgeben und es wurde ihnen
sehr unheimlich zu Mute. Einer ihrer Edeln, der junge Marobod, der
wie Armin im römischen Heere gedient und wie dieser die römische Macht
und Arglist kennen gelernt hatte, bewog das Volk zur Auswanderung