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Arabische Erzählungen.
zu eurer Rettung gethan. Aber Ibrahim, welchen Gott beschützte,
verlor den Mut nicht, und indem er seinen Dolch hervorzog, befreite
er sich von den Überbleibseln des Leichnams seines unglücklichen
Genossen, dessen noch durch die Fesseln festgehaltenes Bein er ab-
schnitt; dann entfernte er sich rückwärts, die Augen stets fest auf die
des Löwen gerichtet und vermied jedes Geräusch, sowie er auch be-
müht war, die Aufmerksamkeit des Tieres von sich abzulenken.
Eine halbe Stunde später war er weit genug entfernt, um sich
aufrichten zu können und sich in der Richtung nach seinem Dorfe
zu retten. Am folgenden Tage erblickte er die Fluten des Senegal
und glaubte sich gerettet; er stieg in den Fluß, um sich vor dem
Gebete zu waschen, aber in demselben Augenblicke, wo er sich auf-
richtete, ergriff ihn ein ungeheurer Kaiman und führte ihn mit sich
hinab in die Tiefe, wo ihn das Ungeheuer eben verschlingen wollte,
als ein anderer Kaiman kam und ihm seine Beute streitig machte.
Der Räuber des Ibrahim war nahe an seiner Höhle, er legte
ihn dort nieder und entfernte sich zum Kampfe. Alles dieses geschah
in kürzerer Zeit, als man braucht, um es zu erzählen. Ihr wißt,
daß die Hohlen der Kaimans aufwärts gehen, so daß das Wasser
nicht ihre ganze Tiefe erreicht. So war auch diejenige beschaffen,
in welcher Ibrahim, schwer verletzt und kaum im stände, sich über
einen Hausen Knochen zu bewegen, gelegt worden war, und er
glaubte, diesmal umkommen zu müssen, unterließ aber nicht, aus
vollem Herzen zu Gott zu beten, als er in der Tiefe der Höhle einen
Lichtstrahl bemerkte; dieser geringe Schein belebte seinen Mut, er
fing sogleich an zu graben, indem er die Erde hinter sich warf, um
einen Wall zwischen sich und dem Feinde zu machen; nach einer
Stunde war er außerhalb des Abgrundes.
Als er die Sonne wieder erblickte, war es seine erste Sorge,
sich, das Gesicht gegen Morgen gerichtet, auf die Erde zu werfen
und ein langes und heißes Gebet an Gott zu richten. Ein Hirt,
welcher sich vor Schrecken verborgen hatte, als er einen Menschen
aus der Erde hervorkommen sah, näherte sich dem Ibrahim, sobald
er bemerkte, daß er es mit einem Muselmanne zu thun habe, und
nach den gewöhnlichen Begrüßungen vernahm der Gerettete, daß er
seinem Wohnorte nahe sei, wohin jener sich erbot, ihn zu führen.
Noch an demselben Abend sah Ibrahim sein Dorf wieder, und
ich überlasse es euch selbst, zu empfinden, wie groß sein Erstaunen
und seine Freude war, als er dort seine Frauen und Kinder wieder-