166. August Hermann Srancke. (1698.)
107
die armen Kinder, die von ihm Almosen holten, in seinem Hause zum Kate¬
chismusunterricht bei sich, und dann erst teilte er ihnen die Gaben aus. Allein
er erkannte bald, daß das nicht gründlich helfen würde. Man mußte die
Kinder ganz aus ihrer drückenden Lage, aus ihrer ganzen verderbten Umgebung
hinwegnehmen und ihr junges Leben in eine strenge und thätige Ordnung
bringen. Aber wie sollte man dazu die Mittel finden? „Bei Gott ist kein
Ding unmöglich." — Schon stand der Gedanke fest in Franckes Seele, zur
Errettung dieser verlassenen Kinder ein großes Waisenhaus zu erbauen.
Silber und Gold hatte er nicht, aber er hatte, was mehr ist, einen
unerschütterlichen Glauben an den, der auch der Witwen und Waisen Vater
sein will. —
Vor einem Thore in Halle steht jetzt ein hohes Gebäude, das über seinem
Eingänge Jes. 40, 31 als Inschrift trägt: „Die auf den Herrn harren,
kriegen neue Kraft re." Dieser Eingang führt durch das Voroergebäude in
einen sehr langen Hos, in eine wahre Straße, ans deren beiden Seiten hohe
Häuser stehen. Hier erblickt mau ein Waisenhaus für arme Kinder, eine
Erziehungsanstalt für Kinder aus höheren Ständen, eine lateinische und Real-
Schule, Bürgerschulen, eine Buchdruckerei (v. Canstcinsche Bibelanstalt), eine
große Buchhandlung, eine Apotheke, viele Wirtschaftsgebäude und Gärten.
Und am Ende der Straße steht Franckes Standbild; in Priesterkleidung segnet
er zwei Waisenkinder. Ja, das alles ist entstanden aus Franckes gesegneter
Glaubensarbeit. In seiner Wohnung hing eine Armenbüchse mit 1. Joh. 3, 17
und 2. Korinth. 9, 7. Einst legte eine fromme Frau 7 Gulden auf einmal
hinein. „Das ist ein ehrlich Kapital", sprach Francke, „davon muß man was
Rechts stiften; ich will eine Armenschule damit anfangen." Und diese Armen¬
schule war der Grundstein zu der: großen Franckeschen Stiftungen in Halle.
Wie war aber solch großes Werk dem armen Pfarrer möglich? Nun, der Herr
half ja mitbauen, indem er die Herzen seiner Gläubigen rührte, daß sie reiche
Gaben zum frommen Werke spendeten. Francke sagt selbst: „Zum Baue des
Waisenhauses mußte ich nun von Woche zu Woche von der guten Hand Gottes
erwarten, was sie darreichen würde." Einmal war äußerster Geldmangel.
„Da ich bei schönem Wetter ausgegangen war", erzählte Francke, „und den
klaren Himmel betrachtete, ward mein Herz sehr im Glauben gestärkt, also,
daß ich bei mir selbst gedachte: wie herrlich ist es doch, wenn man nichts hat
und sich auf nichts verlassen kann, kennt aber den lebendigen Gott, der Himmel
und Erde erschaffen hat, und setzet auf ihn allein sein Vertrauen. Kaum war
ich nach Hause zurückgekehrt, so kommt der Bauaufseher und verlangt Geld
für die Arbeitsleute. „Ist was gekommen?" fragte er. Ich antwortete: „Nein,
aber ich habe Glauben an Gott." Kaum hatte ich das Wort ausgeredet, so
ließ sich ein Student bei mir melden, welcher 30 Thaler, von jemand, den er
nicht nennen wollte, brachte. Da ging ich wieder in die Stube und fragte
den andern, wie viel er diesmal zur Bezahlung der Bauleute bedürfte? Er
antwortete: „Dreißig Thaler." Ich sagte: „Hier sind sie"; fragte dabei, ob
er mehr brauchte? Er sagte: „Nein", was denn uns beide sehr stärkte, indem
wir so gar augenscheinlich die Hand Gottes erkannten, die es in dem Augen¬
blicke gab, da es von Nöten war. — So wunderbar und gnädig half der Herr
unzählige Mal. Das Haus wurde fertig, obgleich ein ungläubiger Mensch