Full text: Deutsche Geschichte der Neuzeit (Teil 2)

Kaiser Wilhelm II. 
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friedliches Regiment zu führen, „um in friedlicher Arbeit zu wahren und 
zu festigen, was kämpfend erstritten wurde". Es war ein denkwürdiges Schau- 
spiel, wie sich am Tage der Eröffnung des Reichstages die Bundes- 
fürsten oder ihre Thronfolger, 22 an der Zahl, um ihn scharten, unter ihnen 
König Albert von Sachsen, Prinzregent Luitpold von Bayern, Großherzog 
Friedrich von Baden und der damalige Kronprinz, jetzige König Wilhelm 
von Württemberg. 
Für st Bismarck blieb zunächst Kanzler des Reiches; bald aber traten 
Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kaiser und ihm ein, und am 
20. März 1890 erhielt er seine Entlassung. Er zog sich in das Schloß 
Friedrichsruh im Sachsenwalde zurück. Obwohl er nicht mehr im Amte 189°" 
war, begleitete er auch serner mit lebhaftester Aufmerksamkeit, mit ratenden 
und warnenden Worten, als ein getreuer Eckart der Nation ihre politische 
Entwicklung. Indessen wuchs die Begeisterung für den großen deutschen 
Mann immer höher. Mit unbeschreiblichem Jubel beging das deutsche Volk 
am 1. April 1895 den achtzigsten Geburtstag des nationalen Helden, ves 
Gründers des Deutschen Reichs; und es war ein Tag tiefer nationaler 
Trauer, als er am 30. Juli 1898 durch den Tod hinweggerafft wurde. Bismarcks 
Lange vor ihm war Graf Moltke gestorben. Am 26.Oktober 1890 so.^Juli 
war sein neunzigster Geburtstag in ganz Deutschland feierlich begangen 
worden; noch im März 1891 sprach er im Reichstag; ohne krank gewesen 
zu sein, starb er am 24. April 1891. 
Zum Reichskanzler hatte der Kaiser an Bismarcks Stelle den General 
der Infanterie von Caprivi berufen. 1894 trat in sein Amt der im 
Staatsdienst grau gewordene Fürst von Hohenlohe-Schillings- 
fürst, der von 1866 bis 1869 bayrischer Minister des Auswärtigen, später 
deutscher Botschafter in Paris und zuletzt als Nachfolger des Generalfeld- 
Marschalls von Manteuffel Statthalter des Reichslandes Elsaß-Lothringen 
gewesen war. Ihm folgte 1900 Graf Bülow, der vor kurzer Zeit in 
den Fürstenstand erhoben worden ift. 
Auch unter Wilhelm II. ist das Deutsche Reich einer Politik des Äußere 
Friedens treu geblieben. Dem Frieden dienten die Besuche, die der 
Kaiser vielen fremden Höfen abstattete; ein Hort des Friedens blieb auch 
ferner das Bündnis mit Osterreich und Italien. Auch mit Rußland wurden 
feit der Thronbesteigung Nikolaus^ II. wieder herzlichere Beziehungen an- 
geknüpft. Mit England, das die Anfänge der deutschen Kolonialpolitik nicht 
ohne Eifersucht beobachtet hatte, wurde 1890 ein für das Reich nicht günstiger 
Vertrag abgeschlossen: England übernahm das Protektorat von Sansibar,
	        
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