Vertrag v. veröun. Entstehung der romanischen Nationen. Die deutsche Sprache. §§ 88— 89. 67
sogenannten Stellingabund verschworen sie sich im schroffen Gegensatz zum
Adel, von Ludwig abzufallen und zum Heidentum und zur alten Freiheit
zurückzukehren. Doch nur um so enger schlössen sich Ludwig und Karl zu-
sammett (§ 89). Endlich sah Lothar, daß er sich fügen müsse: im Vertrag
zu Verdun (843) versöhnte er sich mit seinen Brüdern, und man teilte das
Frankenreich. Lothar erhielt mit der Kaiserwürde Italien und einen langen
Strich Landes vom Mittelmeer bis zur Nordsee (zwischen den Flüssen
Rhone, Saone, Maas und Scheide im Westen und dem Rhein und den
Alpen im Osten, dazu noch auf dem rechten Rheinufer Friesland und
kleinere Besitzungen auf dem rechten Ufer der Rhone). Sein Reich ward
so wunderlich gestaltet, weil man ihm die beiden alten Hauptstädte Karls
des Großen, Rom und Aachen, mitgeben wollte. Was westlich davon lag, also
hauptsächlich das heutige Frankreich, erhielt Karl der Kahle, das Gebiet
im Osten Ludwig der Deutsche. Auch sielen ihm auf dem linken Rhem-
ufer noch diejenigen Landschaften zu, die zum Erzstift Mainz gehörten, vor
allem die Städte Mainz. Worms und Speyer. So zerfiel das Reich Karls
des Großen fortan in drei Hauptteile: Italien mit Burgund, dem
späteren Lothringen (§ 91) und Friesland, Westfranken (Frankreich)
und Ostfranken (Deutschland).
3. Entstehung der romanischen Nationen. Nie deutsche Sprache.
§ 89. Was der Kaiser und die hohe Geistlichkeit erstrebt hatten, die von
Karl dem Großen begründete Einheit des abendländisch-christlichen Reichs
aufrecht zu erhalten, das war mit dieser Teilung vereitelt. Dagegen war
angebahnt, was kommen mußte: die Trennung des großen Reichs
nach Nationen. Denn schon bildeten sich die romanischen Völker-
schaften und schieden sich von den deutschen. Bei der Gründung des alten
Frankenreichs durch Chlodovech hatten sich die Franken als herrschender
und grundbesitzender Adel über das altrömische (welsche) Gallien verbreitet.
Lange behielten sie ihre deutsche Eigentümlichkeit, vor allem ihre Sprache.
Als welsche Einflüsse wieder vorzuherrschen begannen, erneuerte Karl der
Große das Übergewicht des Germanischen. Seine Nachkommen, die karo-
lingischen Könige, sprachen in Frankreich noch im 10. Jahrhundert an ihrem
Hofe deutsch. Allmählich aber war die Landessprache der Welschen (hervor-
gegangen aus dem Latein der gewöhnlichen Leute, dem Vulgärlatein, das
manches Wort und manche Formen aus dem Deutschen aufnahm) mehr und
mehr auch bei den ursprünglich deutschen Franken herrschend geworden. So
bildete sich im alten römischen Gallien aus der Vermischung des Lateinischen
mit einigen deutschen Elementen die französische Sprache, während in den
deutschen Gebieten, im alten Austrasien, natürlich die deutsche Sprache
blieb. Man nannte sie die Volkssprache (thiudisc oder diutisc), weil sie im
Gegensatz stand zu der vornehmen und gelehrten Sprache der Kirche, dem
Latein. Als im Jahre 842 Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle zu
Straßburg ihren Bund gegen Lothar erneuten (§ 88), verstand sich beider
Rittergefolge bereits nicht mehr; Ludwig leistete deshalb dem Adel des West-
frankenlandes seinen Eid in französischer Sprache, Karl dem des Ost-
frankenlandes seinen Eid deutsch. Ludwig schwur im damaligen Romanisch:
Pro deo amur et pro Christian poblo et nostro commun salvament,
dist di en avant, in quant deus savir et podir me dunat, si salvarai eo
eist meon fradre Karlo et in adiudha et in cadhuna cosa, si cum om per
dreit so fradra salvar dist u. s. w,
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