Charakter, Sitten und Gemeinöeleben der Germanen. § 14. 15
noch wohnen sie nördlich von der Donau, östlich vom Rhein, im Süden der
Nordsee, während gegen Südosten, gegen dieSarmaten und Daker (in
Südrußland, Ungarn, Siebenbürgen und Rumänien) nicht die Natur, sondern
gegenseitige Furcht die Grenze bildet. Dem Südländer zwar erscheint das Land
als häßlich und rauh; er schildert es als von Wäldern starrend, den Sonnen-
strahlen unzugänglich, reich an undurchdringlichen Sümpfen: doch war der
Ackerbau bereits allgemein. Roggen und Gerste ward gebaut, nur die
edleren Obstsorten fehlten noch. Die Gebirge hegten mehr Eisen als Gold
und Silber. Das Land war nicht mehr wie früher durchaus Allmen de, d. h.
Gemeindebesitz; der Boden war zum Teil schon besonderes Eigentum des
einzelnen freien Mannes, der sich durch sprödes und stolzes Selbständigkeits-
gesühl auszeichnete. Städte, die den Germanen wie Gefängnisse vorkamen,
waren noch nicht vorhanden; im allgemeinen lebten sie in Dörfern, doch
mit geschlossenen Hofstätten; auch kommen mit Wall und Graben umzogene
feste Plätze als Bergungsstätten vor. Blockhäuser, aus Baumstämmen fest
und stark erbaut und am Giebel mit Kalk getüncht, erhoben sich als
Wohnungen des freien Besitzers. Den Acker bauten die Frauen und wer
von den Männern zum Waffendienst nicht fähig war. Wer größeren Besitz
hatte, ließ wohl auch Teile durch Knechte und Hörige bewirtschaften und
empstng deren Abgaben. Dem Germanen selbst erschien Jagd und Krieg,
sonst Nichtstun, allein als des Freien würdig. Die Kleidung, die Frauen
und Mägde selbst fertigten, bestand bei den Männern aus einem wollenen,
enganliegenden Wams, bei den Weibern gewöhnlich aus einem leinenen,
rot benähten Hemd. Im Sommer gingen die Männer oft, wie die Kinder
immer, nackt. Im Winter trug man Pelze. Spangen von edlem Metall
waren bei den Reicheren bereits keine Seltenheit. Heilig war das Haus-
wesen und vor allem die Ehe. Das Weib stand unter der Gewalt des
Mannes, die er gewann, indem er dem Vater der Braut ein Roß, ein
Rindergespann und Waffen darbot. Aber im Hause des Gatten waltete
das Weib hochgeehrt als Herrin (Frau), ja in ihr verehrte der Germane
etwas Heiliges und Prophetisches. Oft begleiteten die Weiber das aus-
rückende Heer der Männer zum Kampfe, und ihr lauter Zuruf feuerte die
Streiter zum tapfrem Ausharren an. Die Kinder der Freien und der Knechte
wuchsen miteinander auf, bis die Schwertleite den Freigeborenen wehrbar
machte. Die Hauptwaffe war die Frame, eine Lanze mit dünnem Schaft
und kurzer Spitze, zu Wurf und Stoß gleich geeignet; dazu kamen Keule,
Steinhammer und Axt; das Schwert war wenig in Gebrauch. Als Schutz-
waffe führten die Germanen gewöhnlich nur den hölzernen, oft zum Zweck
der Unterscheidung der einzelnen Stämme mit glänzenden Farben bemalten
Schild. Auch gerüstete Reiter kommen vor, während die Fußgänger, die
gewöhnlich mit jenen untermischt kämpften, ohne Harnisch waren. Ihre
Schlachtordnung bildeten sie keilförmig; in ihr standen sie nach Familien,
Sippen und Gauen zusammengeschart; Bilder wilder Tiere wurden
als Feldzeichen den einzelnen Stämmen vorangetragen. Vor der
Schlacht stimmten sie den Barditus an, den „Schildgesang", der dem
Donner des Schlachtengottes gleich zu den Feinden hinüber dröhnen sollte.
Weichen galt nicht für schimpflich, wenn man wich, um sich zu neuem
Angriff zu sammeln. Den Schild zu lassen war die ärgste Schmach.
Tempel hatten sie nicht; sie beteten die Götter in Hainen und Wäldern an;
ein besonderer Priesterstand, wie ihn die Kelten in ihren Druiden besaßen,
fehlte; vielmehr übte nach alt-arischer Weise der Vater für das Haus, der Fürst