254 Adel und Fürsten. § 429—430.
wieder aufzurichten, war großartig, aber weder die Zeit noch die Leute waren
dazu angethan, chn auszuführen. — Auch der Binnenhandel erlosch während
des Krieges fast ganz. Erst nach dem Friedensschluß erholten sich die No.rd-
seestädte so weit, daß sie mit gewohnter deutscher Emsigkeit wieder unter den
handeltreibenden Nationen einen Platz einnahmen, dem aber keine dahinter-
stehende Macht Schutz gewährte. Auch die Ostseestädte, Stettin, Stralsund,
Rostocks Wismar stiegen gar bald wieder in ihrem Berkehr und Reichthum,
doch meist unter schwedischem Schirme. — So war der Bauer in seinem Wohl-
stände und Lebensmuth, der Bürger in seiner Freiheit und Unternehmungslust
gebrochen. ° '
4. Adel und Fürsten.
§ 430. Nicht minder erfuhren die höchsten Stände des deutschen Volkes
eine Umwandlung. Der Adel hatte, seit dem Ausgange der ritterlichen Zeit,
seine ausschließliche kriegerische Bedeutung verloren. Durch das Reformations-
Jahrhundert hindurch saß er auf seinen Burgen und Landsitzen, deren unnütz
gewordene Befestigungen verfielen, nur von Zeit zu Zeit zu den Landtagen
semes Fürsten gerufen, von denen er bedeutende ständische Rechte eingeräumt
erhalten, oder zu einem Hoffeste geladen, bei dem er in altritterlicher standes-
gemäßer Pracht auftreten mußte. Seine Besitzungen an Wald, Weide und
Feld trugen nicht viel ein, am wenigsten baares Geld, und doch war schon das
Geld eine Macht geworden, die man nicht entbehren konnte. Zum Kriegsdienst
stellte er seinem Landesheren sein Ritterpferd und einige gewappnete Knechte:
diese Leistung aber, einst persönlich dargebracht, war so weit hinter der Zeit
zurückgeblieben, daß sie, kümmerlich wie sie war, ihm keine Ehre und dem Lan-
desHerrn, der sich auf kriegskundige Söldner angewiesen sah, wenig Nutzen
brachte. So erlosch zum Theil der kriegerische Sinn in dem deutschen Adel.
Jüngere Söhne zwar zogen noch oft in des Kaisers Dienst und in die Türken-
kriege, oder leiteten selber als Hauptleute und Kriegsoberste die Söldnerscharen.
Auch wandten sich andere schon zum Studium des römischen Rechts wie der
politischen Wissenschaften, und suchten an den Höfen der Fürsten, an den Reichs¬
gerichten, bei fremden Gesandtschaften Ehren und einträgliche Aemter. Im Gan¬
zen jedoch war der Stand unwissend, in rohen Unterhaltungen, nur zu oft in
Völlerei und Schlemmerei und in wüster Iagdlust den Tag verbringend. Die
Gesunkensten des Standes machten noch jetzt die Straßen unsicher oder legten
sich als „Krippenreiter" ihren Standesgenossen in Stall und Quartier.
Der große Krieg entadelte auch diesen Stand völlig. Seine Güter waren
verwüstet, seine Bauern zusammengeschmolzen und unsählig zu zahlen, er selbst
entweder im wilden Kriegsdienst und dem Offiziersleben, das dem des gemeinen
Soldaten an Rohheit nichts nachgab, verwildert, oder durch zahllos wiederholte
Unglücksfälle, Fluchten, Entbehrungen, zahm und demüthig gemacht. Damals
entschwand der Trotz des alten germanischen Adelssinnes. Es drängten sich nun
die Edelleute an die Höfe, selbst an die kleinsten, haschten nach Ehren, Titeln
und Aemtern, und suchten durch ceremoniöse Formen die innere Leere, durch
Hochmuth gegen Geringe die Niederträchtigkeit der Gesinnung zu überdecken.
Paris und Versailles wurden, wie sie eine hohe Schule der Entsittlichung für
den französischen Adel waren, nun auch die Lehrstätte des deutschen Junkers.
Dorthin zog er, um Modetand, hohle Anmaßung, Ausschweifungen, Verachtung
alles Einheimischen sich einzutauschen. So verschmolz sich bald lächerliche Form
und steife Haltung mit der alten innern Rohheit, die weder von der Residenz