Full text: Geschichte des deutschen Volkes

Angelsachsen. Attila. Untergang des weströmischen Reiches. § 29—31. 23 
Der erste Stoß der Völkerwanderung hatte also dem weströmischen Reiche 
seine schönsten Provinzen gekostet: Afrika, Spanien, Südgallien war in^ 
der Hand gothischer, oder doch germanischer Völker. 
2. Angelsachsen. Attila. Untergang des weströmischen Reiches. 
§ 30. Das weströmische Reich eilte seinem Untergange entgegen. Von 
Gallien, einst der blühendsten Provinz, war nur noch der nördlich von der 
Loire gelegene Theil römisch. Hier gebot ein ehrgeiziger Feldherr, Aetius, 
der kaum eine weniger unabhängige Stellung einnahm, als ein deutscher 
Heerkönig. Den schwersten Verlust jedoch erlitt das Reich in seiner Provinz 
Britannien. Dies Land war unter römischer Herrschaft blühend aber auch 
unkriegerisch geworden. Stilicho hatte es von seinen Legionen entblößt, um 
Italien zu retten (§ 28). Die keltisch-römischen Bewohner, die Britten, konnten 
gegen die Einfälle der Picten und Scoten von Schottland her sich nicht 
selber schützen: so kam man auch hier auf den Gedanken, Deutsche in Sold zu 
nehmen. Man kannte die Sachsen (§ 24) und die ihnen stammverwandten 
Angeln und Jüten als kühne Seeräuber, die oft die Küsten Britanniens 
plündernd heimsuchten. Jetzt rief man sie um Hilfe an. Zwei jütische Edi- 
linge, Hengist und Horsa, erschienen mit drei Schiffen in Kent, der süd- 
östlichen Spitze der Änsel, und erhielten hier Landbesitz: Hengist's Nachkommen, 
die Aeskingen, blieben Könige in Kent. Bald aber mehrten sich die Zuzüge: 
Angeln, Sachsen, Jüten, Frisen, ja vereinzelt auch Franken und Lango- 
barden kamen über die Nordsee, wurden aus Beschützern bald Eroberer und 
unterwarfen ganz Britannien (von 449 an). Nur in den Gebirgen von Wales 
leistete die alte keltische Bevölkerung unter ihrem Könige Arthur 537 (der 
König Artus der Sage) heldenmüthigeu Widerstand. Es entstanden sieben 
angelsächsische Königreiche: Kent, Sussex, Essex, Wessex (vorwaltend 
sächsisch) und Ostanglia, Merkia und Deira (vorwaltend anglisch). Bis 
über den Firth of Förth hinaus gingen diese deutschen Ansiedelungen; nur in 
dem schottischen Hochlande blieb die alte keltische Bevölkerung der (Sälen. 
§ 31. Als diese Eroberungen der Angelsachsen begannen, erbebte das West- 
römische Reich von einem zweiten großen Stoß der Völkerwanderung bis in 
seine Grundfesten hinab. Der mongolische Stamm der Hunnen, der die Völker- 
Wanderung begonnen (§ 26), war seitdem in die untere Donauebene und in 
das heutige Ungarn vorgedrungen. Die germanischeu Völker, die einst dem 
Ermenerich gehorcht hatten, hatten sich ihnen meist gefügt. Und je mehr die 
Hunnen als tapfere Männer von ihnen erkannt wurden, jemehr ihre Sitten 
etwas den Germanen Verwandtes annahmen, um so mehr schwand der erste Abscheu, 
den diese vor ihnen empfunden: dem Tapfersten zu dienen, galt dem Germanen 
nicht als schändlich. Seit dem Jahre 428 war Attila oder, wie ihn die 
Deutschen nannten, Etzel König der Hunnen, der das ganze heutige Ungarn 
und das freilich arg verheerte Land bis fast zum Rhein hin beherrschte. Zwischen 
Theiß und Donau, den Karpathen nahe, erhob sich seine Residenz, ein großes 
Mongolendorf; darin sein Schloß, ein hölzernes, mit vielen Gängen umgebenes 
Gebäude, mitten in einem sehr großen viereckigen Hof, der mit Pfahlwerk um- 
wallt war. Attila selbst trug noch das Gepräge des asiatischen Nomaden; er 
war kurz und untersetzt, mit dickem Kopf, gewaltigem Nacken und kleinen, aber 
stolz rollenden Augen. Ihm gehorchten außer seinen Hunnen viele deutsche 
Völker: vor allen die Ostgothen; außer ihnen Gepiden, Heruler, Turci- 
linger, Rugier, Skiren und selbst die Thüringer, tief in der Mitte Deutsch-
	        
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