Full text: Norddeutsches Lesebuch

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kaiserlosen Zeit Oesterreich, Steiermark, Kärnthen und Krain unter seine Herr— 
schaft gebracht und als der mächtigste Reichsfürst selbst nach der deutschen Krone 
gestrebt. Seiner stolzen Seele war der Gedanke unerträglich, einem armen 
Grafen, wie er Rudolf spottend nannte, Unterwürfigkeit schuldig zu sein. Er 
weigerte sich daher, auf den Reichstagen zu erscheinen. Nachdem er dreimal 
vergeblich geladen war, erklärten die versammelten Fürsten ihn in die Acht und 
seiner Lehen verlustig. Da aber der Böhmenkönig auf seine Macht trotzte, so 
beschloß Rudolf den Reichskrieg gegen ihn zu erdöffnen. 
Bald fühlte sich Ottokar von allen Seiten bedrängt, und er mußte sich 
zu einem Vertrage bequemen, in welchem er Oesterreich, Steiermark, Kärnthen 
und Krain abtrat, Böhmen und Mähren aber als Lehen empfing Die feier— 
liche Belehnung erfolgie in Rudolfs Lager. An der Spitze eines glänzenden 
Gefolges zog der stolze Ottokar in königlicher Pracht, schimmernd von Gold 
und Edelsteinen, durch die stattlichen Reihen der deutschen Ritter, um knieend 
den Lehnseid zu leisten. Rudolf blieb in seiner schlichten Feldkleidung, und als 
ihn jemand fragte, ob er nicht seinen königlichen Schmuck anlegen wollte, ant— 
wortete er: „Nein! der König von Böhmen hat oft über mein graues Wams 
gelacht, heute soll mein graues Wams einmal über ihn lachen, und die frem⸗ 
den Völker sollen sehen, was die Waffen der Deutschen vermögen.“ 
4. Bald aber fühlte Ottokar bittere Reue, sich gedemüthigt zu haben, und 
die Spöttereien und Vorwürfe seiner Gemahlin reizten ihn noch mehr auf. Er 
mußte sich von ihr sagen lassen, er habe den deutschen König von fern wie ein 
Hund angebellt und in der Nähe angewedelt; er habe sich geberdet wie ein 
Maulthier, das, so lange es den Wolf fern weiß, sich wild ausbäumt und aus⸗ 
schlägt, sich aber dennoch ohne Widerstand von demselben zerreißen läßt. Otto— 
kar erirug dies nicht; er griff von Neuem zu den Waffen Rudolf hatte nur 
wenig Mannschaften um sich, bald aber zog er Verstärkungen heran und rückte 
Ottokar vor. Es kam zur Schlacht auf dem Marchfelde bei Wien 
1278). Rudolf hatte befohlen, Ottokars Leben zu schonen, dieser aber einen 
Preis demjenigen versprochen, der ihm seinen Gegner todt oder lebendig liefern 
würde. Furchtbar wüthete der Kampf, Ottokar wurde erschlagen; Rudolf, von 
einem böhmischen Ritter vom Pferde geworfen, lag unter diesem, und nur sein 
Schild, mit welchem er sich bedeckte, rettete ihn vor den Hufen der über ihn 
herstürmenden Rosse. Bald hob er sich unter seinem Pferde wieder empor und 
errang den Sieg. Ein Ritter aus Ottokars Heere, von dem Rudolf beinahe 
getödtet worden wäre, fiel schwerverwundet in die Hände der Sieger, die ihn 
im Zorn niederhauen wollten, weil er das Leben ihres Königs bedroht hatte; 
allein Rudolf sprach: „Das verhüte Gott! einen so tapfern Ritter tödten, 
hieße dem Reiche unersetzlichen Schaden zufügen!“ Er befahl, den Gefangenen 
sorgfältig zu verbinden und zu verpflegen. 
Nuch diesem Sieg rückte Rudolf in Böhmen ein und gab dies Land als 
Reichslehen dem Sohne Ottokars, Wenzel. Mit den österreichischen Landen 
belehnte er seine beiden Sohne, in der Ueberzeugung, daß er nur dann, wenn 
er selbst eine große Hausmacht habe, den großen deutschen Fürsten gegenüber 
sein Ausehn wahren könne. Da er auch seine sechs Toöchter mit machtigen 
Fürsten vermählie, so stärkte er seine königliche Gewalt so sehr, daß er sich 
überall Gehorsam zu erzwingen vermochte.
	        
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