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II. Die Römer.
§29
Dritte Periode. Die Zeit der Bürgerkriege.
§ 29. Die Gracchen.
1. Cornelia. In der Zeit der beginnenden Sittenverderbnis gab
auch eine Frau, Cornelia, ein schönes Beispiel altrömischer Gesinnung.
Sie war die Tochter des Siegers von Zama und hatte nach der Sitte
ihrer Familie durch Beschäftigung mit griechischer Literatur und Kunst
ihren Geist gebildet. Als Witwe soll sie die Brautwerbung des Königs
Ptolemäus von Ägypten ausgeschlagen haben, um sich ganz der Erziehung
ihrer Söhne, Tiberins und Gajus, widmen zu können. „Dies ist mein
größter Schmuck", erwiderte sie, auf ihre Kinder deutend, einer vornehmen
Freundin, die nach ihren Schmucksachen fragte. Ihren Söhnen gegen-
über sprach sie die Hoffnung aus, einst nicht die Tochter Scipios, sondern
die Mutter der Gracchen genannt zu werden.
2. Tiberins Gracchus sah auf einer Reise die Sklavenwirtschaft auf
den Landgütern und erkannte mit richtigem Blicke das Grundübel des
Staates. (Es gab nur Reiche und Arme; welcher Stand fehlte?) Auf
Sizilien brach ein greuelvoller, gefährlicher Sklaveuaufstaud aus. Um
für die unterdrückten Volksklassen besser eintreten zu können, verzichtete
Tiberins auf die höhere Beamteulaufbahn seiner Standesgenossen und
133. beantragte als Volkstribun 133 die Erneuerung des Licinifchen Acker-
gesetzes.
Dieses Gesetz, das wohl nach der Beendigung des zweiten Punischen Krieges erlassen,
aber nicht ausgeführt worden war, bestimmte, daß kein Bürger mehr als 500 Morgen
aus den Staatsländereien besitzen dürfe. Der Antrag des Tiberius Gracchus mil-
bette das Gesetz durch den Zusatz, daß der Grundbesitzer noch für die beiden ältesten
Söhne je 250, also im ganzen 1000 Morgen behalten dürfe. Aus dem frei werdenden
Lande sollten immer je 30 Morgen an arme Leute gegen eine jährliche Abgabe als
unveräußerlicher Besitz ausgeteilt werden.
Die Volksversammlung nahm den Antrag an, aber die Ausführung
machte große Schwierigkeiten und ging nur langsam vorwärts. Als nun
Tiberius gegen das Gesetz für das folgende Jahr wieder das Tribunal
haben wollte, wurde er von der Nobilität (§ 21, 5), die durch sein Vor-
gehen außerordentlich geschädigt wurde, im Straßenkampfe getötet.
3. Gajus Gracchus. Dieses Schicksal schreckte jedoch den jüngeren
Bruder nicht ab, dieselbe Laufbahn zu betreten. Kühner und feuriger als
123. Tiberius, nahm er als Tribun 123 und 122 nicht nur das Ackergesetz
wieder auf*), sondern setzte noch mehrere Neuerungen zugunsten des nie-
deren Volkes durch. Dahin gehörte die Maßregel, daß der Staat den
Armen das Getreide zu billigem Preise lieferte. (Vgl. das Verfahren des
*) Gajus ging noch über die Vorschläge des Bruders hinaus, indem er die Grün-
duug von Bauernkolonien in Italien (im Gebiet von Capna und Tarent) und über See
(in der Gegend von Karthago) forderte.