Object: Lesebuch für Fortbildungsschulen

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Vater. Ich habe mit ihm unter einem Dache gewohnt und mit meinen 
Augen gesehen, wie der gottlose Sohn den armen Vater kränkte, und 
in meinem Leben werde ich es nicht vergessen, wie der alte, arme Mann 
eine Stunde vor seinem Tode über ihn weinte. Kann ihn Gott leben 
lassen, den Bösewicht? dachte ich. Was geschah? Er nahm ein Weib, 
das viel Gut hatte, und er war jetzt im Dorfe einer der Reichsten und 
ging in seinem Stolze und in seiner Bosheit einher, als ob niemand 
im Himmel und niemand auf Erden über ihm wäre. Ein Jahr ging 
vorüber, da sah ich den stolzen Uli bei dem Begräbnisse seiner Frau 
heulen und weinen. Ihr Gut mußte er ihren Verwandten bis auf den 
letzten Heller zurückgeben, und er war plötzlich wieder arm wie ein 
Bettler. In seiner Armut stahl er, und ihr wißt, welch ein Ende er 
genommen hat. Kinder, so sah ich immer, daß das Ende des Gottlosen 
Jammer und Schrecken ist. 
Ich sah aber auch den tausendfachen Segen und Frieden in den stillen 
Hütten der Frommen. Es ist ihnen wohl bei dem, so sie haben. Bei 
wenigem ist ihnen wohl, und bei vielem sind sic genügsam. Arbeit in 
ihren Händen und Ruhe in ihrem Herzen, das ist das Teil ihres Lebens. 
Sie genießen froh das Ihrige und begehren nicht, was ihrem Nächsten 
gehört. Der Hochmut plagt sie nicht, und der Neid verbittert ihnen ihr 
Leben nicht. Darum sind sie immer froher und zufriedener und mehren- 
teils auch gesünder als die Gottlosen. Sie besitzen auch des Lebens 
Notwendigkeiten sicherer und ruhiger; denn sie haben ihren Kopf und 
ihr Herz nicht bei Bosheiten, sondern bei ihrer Arbeit und bei den 
Geliebten ihrer stillen Hütten. So ist ihnen wohl im Leben. Gott im 
Himmel steht herab auf ihre Sorge und auf ihren Kummer und hilft 
ihnen. 
Kinder meines Dorfes, o ihr Lieben! Ich sah viele fromme Arme 
auf ihrem Todbette, und ich habe nicht gefunden, daß einer, ein einziger 
von allen, in dieser Stunde sich über seine Armut und über die Not 
seines Lebens beklagte. Alle dankten Gott für die tausend Proben seiner 
Vatergüte, die sie in ihrem Leben genossen hatten. 
3. Der Abend vor dem Festtage im Hause einer recht¬ 
schaffenen Mutter. 
Gertrud, die Frau des armen Lienhard, war noch allein bei ihren 
Kindern. Die Vorfälle der Woche und der kommende festliche Morgen 
erfüllten ihr Herz. In sich selbst geschlossen und still, bereitete sie das 
Abendessen, nahm ihrem Manne, den Kindern und sich selbst die Sonn¬ 
tagskleider aus dem Kasten und bereitete alles auf morgen, damit dann 
am heiligen Tage sie nichts mehr zerstreue; und da sie ihre Geschäfte
	        
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