Erster Abschnitt.
Mathematische Erdkunde.
§. I.
- Gestalt der Erde.
Wenn wir die Erde als meßbaren Weltkörper betrach¬
ten, so haben wir es zuerst mit ihrer Gestalt zu thun.
Wunderlich genug waren die Vorstellungen, welche man sich
in den frühesten Zeiten über die Gestalt der Erde machte.
An dem Kindesalter der Menschheit sah man in dem Wohn-
platze der Menschen eine gerundete Flache, umgrenzt vom
Horizont. Der Mittelpunkt dieser Fläche war — und ist
es bei rohen Völkern noch — der jedesmalige Wohnort.
Dieses Bild, mit lebhafter Phantasie ausgemalt, durch
Volksgesänge verallgemeinert, konnte selbst den bessern Kopf
bestimmen, seine reinern Ansichten der allgemeinen Vorstel¬
lung unterzuordnen. So dachte sich z'. B. der Grieche zu
Homer's Zeiten die Erde als eine Scheibe, vom Strome
Okeanos umflossen, aus dem in Westen, bei den Herkules¬
säulen, das Mittelmeer und in Osten der Phasis (in Kolchis)
einströme. ^ Die nördliche Hälfte war die Seite der Finster¬
niß, die südliche die Seite des Lichts. In der Mitte die¬
ser Scheibe lag Griechenland, und der Mittelpunkt Grie¬
chenlands, also der ganzen Erde, war ihnen anfangs der
Sitz der Götter, der Berg Olympos, später das heilige
Delphi. Diese Vorstellung ergiebt sich aus der unmit¬
telbaren Ansicht der Erdoberfläche und wurde deßhalb, so
lange man nicht genauere Beobachtungen anstellte, für rich¬
tig gehalten. Es treten aber eine Menge Erscheinungen
ein, aus denen man leicht schließen kann, wie irrig diese
vorgefaßte Meinung ist, und so ergiebt sich, daß die
Erde eine kugelähnliche, aber nicht völlig kugelförmige Ge¬
stalt, hat.