Full text: Leitfaden der Weltgeschichte

202 Kap. 163. Friedr. Wilh. IV. Allgem. Culturzustand. Februarrevolution. 
(der „rechten Mitte") seinen „Bürgerthron", wie es schien, festzustellen und 
nach außen durch das Princip der Nichtintervention das Zutrauen der 
übrigen Mächte zu gewinnen wußte, so daß sich geraume Zeit hindurch der 
Weltfriede erhielt. 
Einmal jedoch war eine Störung desselben nahe, als das Ministerium Thiers im 
Jahr 1840 das alte Gelüste der Franzosen nach der Rheingrenze rege machte. Aber 
die Einmüthigkeit der deutschen Fürsten und Völker macht- die Drohung zu nichte und 
bewies die alte, oft verkannte Wahrheit, daß Eintracht stark macht. — Unter den deutschen 
Fürsten dieser Zeit ragt besonders der geistreiche, tief christliche Friedrich Wilhelm IV. 
(1840—1860) hervor, auf den die Hoffnung des ganzen deutschen Volkes gerichtet war. 
Er suchte der evangelischen Kirche eine freiere Stellung zu verschaffen und legte einen 
zwischen der Regierung und dem Kölner erzbischöflichen Ordinariat entstandenen Konflikt 
gütlich bei. Die von ihren Fürsten abgetretenen Lande Hohenzollern-Hechingen 
und Sigmaringen vereinigte er mit Preußen. Dabei förderte er Kunst und Wissen- 
schaft in großartigster Weise und machte Berlin zum Brennpunkt geistigen Lebens in 
Deutschland (der Bildhauer Rauch; die Maler Corne lius und Kaulbach; der 
Naturforscher Alexander von Humboldt; der Philosoph Schölling; die 
deutschen Sprachforscher Jacob und Wilhelm Grimm). Aber mit der seinem 
Volke (1847) gegebenen, auf der geschichtlichen Grundlage ständischer Gliederung beruhenden 
Verfassung vermochte er dem Verlangen seiner Unterthanen nicht zu genügen, und mit seinem 
Streben, durch Umgestaltung des deutschen Bundes die nationalen Bedürfnisse des 
deutschen Volkes zu befriedigen, fand er kein Gehör bei Oesterreich. — Der österreichische 
Kaiser Ierdinand I. (1835—1848) ließ sich besonders die Hebung der österreichischen 
Industrie angelegen sein; die Regierung beließ er den Händen seines Ministers 
Metternich. 
Nur Spanien konnte uicht zur Ruhe kommen. Hier hatte Ferdinand feiner Tochter 
Jsab ella unter der Vormundschaft feiner Gemahlin Christine die Thronfolge ge- 
sichert; aber gegen Jsabella wurde in des Königs jüngerem Bruder Don Carlos ein 
Gegenkönig aufgestellt. Indem zwischen den Parteien der Carlisten und Christinos 
ausbrechenden Bürgerkrieg (1833) bekamen letztere durch General Espartero die Ober- 
Hand, und Don Carlos flüchtete nach Frankreich (1840). Nach ihrer Volljährigkeitser- 
klärung (1843) führte Jsabella die Regierung, aber fortwährende Gährungen hinderten 
das Land an einer ruhigen Entwicklung. 
Während dieser Friedensperiode war Kunst und Wissenschast in stei- 
gendem Fortschritt, Handel und Gewerbe durch große Erfindungen 
(Dampfschiffe, Eisenbahnen, Telegraphen zc.) in mächtigem Aufschwung be- 
griffen, und es schien, als ob es der vorschreitenden „(Zivilisation" beschieden 
sei, das Ziel des Völkerglücks zu erreichen. Aber weil dabei das Eine, 
was Noth thut, im allgemeinen zu sehr außer Acht gelassen war, so konnte 
es kommen, daß der alte Revolutionsgeist, ehe man es sich versah, von neuem 
1848 losbrach und wie ein reißender Strom über den größten Theil Europa's sich hin- 
wälzte und allenthalben die Grundlage der politischen und sittlichen Ordnung 
zerrüttete. 
(2.) Der Anstoß gieng von Krankreich aus. Es war dem König nicht 
gelungen, -sich in der Beliebtheit, deren er anfangs genoß, zu erhalten. Die 
republikanische Partei erhob den Verdacht gegen ihn, daß er die Verfassung 
aufheben wolle, und die Unzufriedenheit der unbemittelten Stände brach in 
zahlreichen Aufständen aus; auch wurde des Königs Leben mehrmals durch 
meuchlerische Angriffe bedroht. Aufgedeckte Mißbräuche der Regierung, Be- 
ftechlichkeit der Beamten, die Verdorbenheit der Hofkreise steigerten die Oppo- 
sition, welche auf den Umsturz der bestehenden Staatsordnung ausgieng. 
Allgemein war der Ruf nach Wahlreform. Da aber der König mit seinem 
Minister Guizot widerstand, so brach (22. Febr. 1848) die Februarrevo¬ 
lution aus, in Folge deren der Thron Louis Philipp's umgestürzt, und
	        
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