76 Kap. 76. Goldenes Zeitalter der röm. Literatur. Kap. 77. Das Harren der Völker.
noch übrig war, vollends abgeschliffen, und ettte allgemeine Sittenverderbniß, die sich
in Bestechlichkeit, Habsucht, Mord, Unglaube und Aberglaube äußerte, griff immer
mehr um sich.
Besonders mächtig erwies sich Octavian's Einfluß auf dem geistigen Gebiete, indem
er Kunst und Wissenschaft durch Gunst und Belohnungen förderte und dabei von
seinen hochgebildeten Freunden und Regierungsgehülfen Mäcenas, Agrippa und
Mefsala unterstützt wurde. Daher wurde seine Zeit die goldene Aera der römi-
schen Literatur genannt. Sie begreift aber auch die letzte Zeit der Republik.
In der Poesie glänzten der epische Dichter Kirgilius (geb. 70v. Chr.), die lyri-
schen Dichter Horatius (geb. 65 v. Chr.), Catullus, Tibullus und Proper-
tius, der vielseitige Dichter Ovidius (geb. 43 v. Chr.) und der Fabeldichter Phä-
drus. — In der W is senschaf t ragten hervor als Geschichtschreiber Julius Cäsar,
Cornelius Repes, Sallustius (geb. 86 v. Chr.), T. Livius (geb. 60 v. Chr.);
die Redner Hortensius und Cicero, welcher letztere die Römer auch mit der
griechischen Philosophie und deren Schulen näher bekannt machte.
Da Augustus nicht blos seine eigene Erhaltung, sondern auch eben so sehr das Wohl
des Volks im Auge hatte, so erwarb er sich den aufrichtigen Gruß „Vater des
Vaterlands", und kannte dem ganzen Volke gegenüber, selbst bis in sein hohes
Alter, weder Furcht noch Argwohn.
Auch die Kriege, die er noch in Spanien, in den Alpen, an der Donau und am
Rhein zu führen hatte, zielten nur darauf ab, theils die Ruhe im Innern zu befesti-
gen, theils die Grenzen des Reichs zu behaupten. — Die Kriege gegen die Alpen-
Völker und gegen die Germanen führte er durch seine Stiefföhne Drufus und Tibe-
rius, welche im I. 15 die Vindelicier (zw. Inn und oberer Donau) bezwangen,
und das ganze Land in eine römische Provinz verwandelten. (Die weiteren Kriege in
Germanien s. Kap. 79, 2.)
Kap. 77. Das Harren der Völker.
So glücklich die Völker des römischen Reichs unter Augustus im Aeußern
zu sein schienen, so tocir doch im Innern der wahre Frieden nicht vorhan-
den. Ihr Gottesdienst war zum leeren Spiel herabgesunken und konnte
heilsbedürftigen Gemüthern keine Beruhigung geben. Vergebens suchten edle
Geister in der Weisheit griechischer Philosophie ihr Sehnen nach Wahrheit
zu stillen, indeß die Masse des gewöhnlichen Volkes in Unglauben und Aber-
glauben dahin lebte und sich durch Sinnengenuß betäubte.
Nur das Volk der Juden bewahrte noch die Erkenntniß des einen,
wahren Gottes, und erwartete nach den Weissagungen seiner Propheten
den „Messias", der Israel erlösen sollte. Aber da die Mehrzahl der Juden
von heidnischem Wesen angesteckt und verweltlicht war, so dachten sie sich
unter dem Messias einen weltlichen König, welcher Israel vom Drucke der
Fremdherrschaft erlösen werde. Nur der glaubenstreue, in seiner heiligen
Schrift forschende Jsraelite erwartete in dem geweissagten Gesalbten nicht
bloß den „Trost Israels", sondern auch den Heiland der Welt.
Eines der geweissagten Zeichen, an denen das Kommen des Erlösers er-
kannt werden sollte, war eingetreten; denn der Jdumäer Herodes (40—4
v. Ehr.) hatte das maccabäische Königsgeschlecht gestürzt und sich auf den
Stuhl David's gesetzt, sonach „das Scepter von Juda entwendet."
Auf den Maccabäer Simon, der 142 v. Chr. Judäa vom Joche der Syrer befreit
hatte (K. 55 a. E.), war sein Sohn Johannes Hyrkanus, diesem dann dessen
Söhne Aristobulus (der den Königstitel annahm) und Alexander Jannäus
gefolgt. Unter den Söhnen des letztern entstand ein Streit um die Thronfolge, der den
damals in Asien befindlichen Pompejus (K. 72) veranlaßte, selbst nach Jerusalem zu
kommen, wo er den ältern der streitenden Brüder, HyrkanII., nur als römischen