Kap. 61. § 230. Europäische Kunst bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. 215
skandinavische Norden und der slavische Osten bleiben noch weit hinter
derselben zurück.
Was die Kunst betrifft, so wurde auf dem Gebiete der Tonkunst vorzüglich der
Kirchengesang begründet durch den heil. Ambrosius, Erzbischof von Mailand
(374—397), sodann weiter ausgebildet durch den Papst Gregor den Großen
(590—604), Schöpfer des nach ihm benannten Gregorianischen Chorgesangs. Als Ver¬
besserer der Methode des Gesangunterrichts sowie als Erfinder des neueren Noten¬
systems verdient Guido von Arezzo (im 11. Jahrhundert) Erwähnung. Erst später
wurde durch die Fortbildung der Harmonie und Durch die Entwicklung des kontra-
punktischen Stils die Kirchenmusik gepflegt, und zwar in Italien durch den großen,
gedankenreichen Paleltrina (f 1594), sowie durch Durante, Astorga, Pergolese,
in Flandern durch Scarlatti, und nachher in Baiern durch Orlando Lasso, in
ganz Deutschland durch Luther in dem mit Gesang verbundenen Choral. — In
der Baukunst ragten hervor: im 14. Jahrhundert der Florentiner Brunelleschi,
im 15. vor allen der gewaltige Michelangelo Buonarotti (f 1563), der die von
Bramante entworfene und begonnene Peterskirche zu Rom weiter führte, und Pal-
ladio (f 1580), der die meisten Paläste in Venedig, Verona und Genua aufführte; —
in der Skulptur ebenfalls Michelangelo und unter seinen Schillern der auch durch
seine Selbstbiographie bekannte Florentiner Benvenuto Cellini (f 1572), neben diesen
(ebenfalls in Florenz) Ghiberti, sowie zu Nürnberg Adam Kraft und der schon
§ 147 a. E. genannte Peter Bischer (f 1529) durch seine trefflichen Bronzegebilde.
In der Malerei sind hervorzuheben: aus der slorentinisch en Schule Andrea bei
Sarto (f 1530), Michelangelo, dieser Meister in dreien Künsten, durch sein jüngstes
Gericht in der Sixtinischen Kapelle; — aus der römischen Schule der schon § 147
erwähnte Uafael (t 1520). welcher diese Kunst durch vollendete Schönheit der Formen
als Ausdruck innerer Seelenklarheit auf die höchste Höhe brachte, wie seine Madonnen,
feine Verklärung Christi rc., vorzüglich aber seine Stanzen und Loggien im Vatikan
beweisen; — aus der venetianischen Schule Tizian (f 1576) durch die Wärme
und den Lichtzauber seiner Bilder, und Paul Veronese (f 1588) ebenfalls durch
das glänzende Kolorit seiner Festdarstellungen — aus der lombardischen Schule
Leonardo da Uüm (f 1519) durch sein Abendmahl (in Mailand), Correggio (f 1534)
berühmt durch sein „Helldunkel", besonders in seiner mit dem Namen der Nacht be¬
zeichneten „Anbetung der Hirten"; — aus der bologneser Schule die drei Caracci
(Annibale, Domenichino, Guercino) und besonders der phantasierreiche Guido Kein (f 1642);
— aus der niederländischen Schule (deren Begründer im Anfang des 15. Jahr¬
hunderts dieGebrüdervanEyk waren) der massive, mehr im natürlichen Effekt starke, als dem
Ideellen und Harmonischen huldigende Peter Paul Dübens (f 1460), sein in Wahrheit
und Schönheit höher stehender Schüler van Ayk (f 1641) und Paul Rembrandt
(t 1674) — über die bildenden Künste bei den Spaniern, Franzosen und Eng¬
ländern s. Z 321 — aus der deutschen Schule der ideenreiche Albrecht Dürer von Nürn¬
berg (t 1528), Hans Holbein (f 1554) besonders durch seinen Totentanz; Lucas Cra-
nach (f 1553), der treue Freund Luthers und des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen.
, In der Dichtkunst ging in diesem Zeitraume gleichfalls Italien voraus durch
seine freie, im Volke wurzelnde, zum Teil den mittelalterlichen Heldengedichten nach¬
gebildete Volksdichtung, in welcher außer Bojardo und Pulci der heiter-ironische
Ariollo (f 1533) durch seinen rasenden Roland und der empfindsam-schwermütige
Torquato Tasso (1595) durch sein befreites Jerusalem obenan stehen. Beide
waren Zierden des herzoglichen Hofes zu Ferrara. — Bei den Spaniern verdienen
Erwähnung: Herrera (+ 1573) als erster klassischer Odendichter, Miguel de Cer¬
vantes (f 1616) durch seinen komisch-satirischen Roman Don Quixote, und Lopez
de Vega (f 1635) durch seine unzähligen Dramen, in welcher Dichtungsgattung
aber Calderon de la Baren (1601—1687) das höchste leistete; — bei den Por¬
tugiesen Camoens (f 1569) durch seine Lusiaden (os Lusiadas, die Lusitanier),
in welchen er die Umschiffung des Kaps und die Auffindung des Seewegs nach Ost¬
indien schilderte; bei den Franzosen der Satiriker Rabelais (f 1553) und der
Lyriker Malherbe (f 1627); bei den Engländern Spenser (f 1596) durch seine
Naturdichtungen, vorzüglich aber der schon § 219 erwähnte William Shakespeare
(1564—1616) durch seine Lust- und Trauerspiele, in welchem sich Tiefe und Wahrheit
der Empfindung, Klarheit der Anschauung, Reichtum der Gedanken, Meisterschaft in