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Im Vollgefühl von Glück sah er seinen Vater mehrmals die Zände
falten und den Blick nach oben gerichtet die Worte ausrufen: „Herr,
was bin ich und mein daus, daß du meiner gedenkest?“ — Er sah
seinen lieben, teuren Vater zum letztenmal. —
Es war am 3. September 1857, als in Weimar die Enthüllung
der Standbilder Goethes und Schillers stattfand. Eine unermeßliche
Menge füllte den Sestplatz, Kopf an Kopf gedrängt, den Augenblick
mit unermeßlichem Jubel begrüßend, wo die enthüllten Gestalten,
in Erz gegossen, unvergänglich, groß und herrlich wie ihre Werke,
in Sonnenglanz strahlend vor ihren Augen auftauchten.
Aller Blicke, die bewundernd auf dem Meisterwerk geruht,
suchten fragend nach dem Schöpfer desselben. Beide Hände auf die
Brust gepreßt, stand er unter der Menge, tief im Innersten bewegt;
was sein Gemüt in dieser weihevollen Stunde erfüllte, war Dank
gegen den, von dem alles Gute kommt.
Als nun der Großherzog von Weimar von der Tribüne herab
den Namen Ernst Rietschel rief, den Meister bei der Dand ergriff
und nach der Versammlung hinwendete, ertönte neuer, tausend—
stimmiger Jubelruf. Es war der Dank des deutschen Volkes an
den „Küsterssohn aus Pulsnitz“, gespendet von der Hand des Enkels
jenes erlauchten Karl August, des fürstlichen Sreundes und Gönners
der beiden großen Männer, die der Meister mit vollendeter Kunst
in seinem Werke verewigt hatte.
Dr. Sach, Charaßkterspiegel.
36. Ausbildung des Körpers.
Das notwendige Instrument unseres Willens ist unser Körper
mit seinen fünf Sinnen, seinen Muskeln und Nerven. Daß wir
diesen Körper beherrschen, das ist eine Hauptbedingung aller Lebens—
kunst. Es gibt verschiedene Ausdrücke, mit welchen wir diese not—
wendige Gewalt der Seele über den Körper bezeichnen. Wir
sprechen von Grazie, Gelenkigkeit, Schnelligkeit, Handfertigkeit,
Elastizität, Geschmeidigkeit u. s. f. und verstehen darunter lauter
Eigenschaften, die eine gewisse Untertänigkeit des Körpers unter
eine höhere leitende Gewalt erkennen lassen. Ungraziös, täppisch,
unbehilflich, schwerfällig, plump und ungeschickt, das sind die Gegen—
sätze dazu.
Der Mensch, der seinen Körper möglichst vollkommen beherrscht,
ist nicht nur in Bezug auf seine Berufs- und Erwerbsarbeit sondern