Full text: Deutsche, insbesondere brandenburgisch-preußische Geschichte vom Ausgange des Mittelalters bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen (Teil 3)

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Ist das Nest so angelegt, daß der Kuckuck nicht zu ihm gelangen kann, so 
legt er das Ei auf den Erdboden, nimmt es in den tief gespaltenen 
Schnabel und trägt es empor. Oft zwar verläßt der Singvogel sein Nest 
beim Anblick des fremden Eies, meist aber merkt er es gar nicht; denn das 
Kuckucksei ist auffällig klein, kaum größer als das des Sperlings und 
oft von der Farbe der betreffenden Singvogeleier. Wohl in 20 ver¬ 
schiedene Nester, am liebsten derselben Vogelart, legt das Kuckucksweibchen 
je ein Ei in Zwischenräumen von 2—6 Tagen. Daher kommt es auch, 
daß der Kuckuck nicht selbst brüten kann; denn das erste Ei würde ver¬ 
dorben sein, wenn er das letzte legt. Auch hat er so viel mit der Stillung 
seines unablässigen Hungers zu tun, daß ihm zum Brüten keine Zeit bleibt. 
Die kleinen Singvögel brüten unverdrossen das Kuckucksei mit aus und 
füttern den jungen Kuckuck wie ihre eigenen Kinder mit Insekten groß. 
Doch der junge Kuckuck, der seine Stiefgeschwister bald an Größe überragt, 
schnappt ihnen schreiend jeden Bissen weg. Die armen, kleinen Nestbrüder 
verkümmern daher nicht selten; ja wenn er größer geworden ist und der 
Platz ihm zu eng wird, wirft er sie unbarmherzig hinaus. Dann kommen 
sie im nassen, kalten Grase um oder werden von Katzen und Wieseln 
gefressen. 
6. Je größer der junge Kuckuck wird, desto unartiger zeigt er sich. 
Er gehorcht seinen Stiefeltern nicht und beträgt sich sehr schlimm gegen 
seine Wohltäter. Außerordentlich groß ist seine Freßgier, und nicht selten 
erfaßt er den Kopf des Vögleins mit feinem Schnabel, wenn er den 
Wurm erschnappen will, den dieses ihm bietet. Sind ihm endlich Federn 
und Flügel gewachsen, so wagt er sich ans dem Neste, das ihm jetzt viel 
zu eng ist, hüpft von Zweig zu Zweig, und seine Pflegeeltern tragen ihm 
trotz seiner Unart noch emsig Futter zu, bis er, seiner eigenen Flügel hin¬ 
länglich mächtig, sich selbst die Nahrung suchen kann. So erziehen die 
kleinen Vögel des Waldes dem alten Kuckuck die Kinder, ohne Dank da¬ 
für zu ernten. 
Der junge Kuckuck lernt also nie Vater noch Mutter kennen; denn bald 
ziehen diese hinweg nach andern Ländern, in die kein Winter kommt, und 
wo ihnen die Nahrung nicht fehlt. Im Herbste finden sich auch die jungen 
Kuckucke zusammen; sie machen sich auf die Reise und bleiben so lange 
entfernt, bis bei uns von neuem ihr Tisch vom Frühling gedeckt ist und 
ihr vielbedeutender Ruf uns aus den Winterstuben hinaus in den Wald 
lockt, Kuckucksblumen zu suchen. 
Aach Hermann Wagner.
	        
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