115
hüten, daß man sage, er sei glückselig, sondern nur, es gehe
ihm Wohl. Es ist aber unmöglich, daß ein Mensch dieses
Alles zumal erlange, und so wie ein Land nicht Alles her¬
vorbringt, sondern das eine hat und Mangel leidet am an¬
dern, das aber, welches das meiste hat, das hat den Vor¬
zug: also ist auch ein Menschenleib sich selber nicht zur
Genüge: das eine hat er, das andere bedarf er. Wer nun
das meiste bis an sein Ende hat und dann freudigen Muthes
sein Leben beschließt, der, o König, verdient nach meiner
Einsicht den Namen des Glückseligen. Bei jeglichem Dinge
muß man auf das Ende sehen, wie es hinaus geht; denn vielen
hat Gott das Glück vor Augen gehalten und sie dann gänz¬
lich zu Grunde gerichtet."
Also sprach er zum Krösos, und weil er ihm gar nicht
zu Willen redete, noch sich an ihn kehrte, ward er entlassen,
und Krösos hielt ihn für sehr unverständig, weil er die Güter
der Gegenwart nicht achtete, sondern sagte, man müsse das
Ende eines jeden Dinges abwarten. Bald aber sollte Krösos
erfahren, das Solon die Wahrheit geredet hatte.
Zu Athen waren indessen während Solons Abwesenheit
die früheren Parteien unter dem Volke wieder hervorgetreten.
Als Solon nach zehnjähriger Abwesenheit wieder in seiner
Heimath anlangte, wurde er zwar von allen Bürgern geachtet
und geehrt, vermochte aber nicht, die in Parteien zerfallenen
Athener auszusöhnen und zur Eintracht zurückzuführen. Auch
war er schon hochbejahrt und zog sich von den Staats¬
geschäften zurück. Er starb, als Pisistratos schon einige Zeit
Tyrann von Athen war. , / n ^
/. 7/¿/ ?■ M . i. \\ v ^¿/p -Wm.
XII.
Pisistratos und seine Söhne.
(561—510 v. Chr.)
Die Parteien, die noch zu Solons Lebzeiten in Athen
entstanden, unterschieden sich nach der verschiedenen Beschaffen¬
heit des Bodens von Attika in Bewohner der Ebene, an
deren Spitze L ykurgos stand, in die Bewohner der Küsten,
8*