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sie fischten eine große Masse Silber, Gold und Erz und andere Kostbar¬
keiten heraus und auch die erzenen Stadttore, die sie nach Wisby auf der
Insel Gothland brachten, wohin sich denn auch der Handel Winetas zog.
Man erzählt, daß man noch heute bei stillem Wetter und ruhiger
See die versunkene Stadt sehen kann; da wandeln große, wunderliche
Gestalten in weiten, faltigen Kleidern durch die Straßen, oft sitzen sie
auch auf großen, schwarzen Pferden oder in goldenen Wagen. Manch¬
mal gehen sie fröhlich und geschäftig umher, manchmal bewegen sie sich
in langsamen Trauerzügen und begleiten einen Sarg zu Grabe. Die
silbernen Glocken läuten noch jeden Abend zur Vesper, und wenn kein
Sturm auf der See ist, kann man sie wie weit aus der Ferne hören.
Die Stadt soll ihren Untergang in den Tagen vom Karfreitag bis
zum Ostermorgen gefunden haben, und am Ostermorgen ganz in der
Frühe steigt sie als warnendes Schreckbild der Abgötterei und Üppigkeit
mit allen ihren Häusern, Kirchen, Toren, Brücken und Trümmern
aus dem Wasser hervor, und man sieht sie auf den Wellen schwanken;
man sagt dann: „sie wafelt". Bei Nacht und bei stürmischem Wetter
darf sich kein Fahrzeug den Trümmern der alten Stadt nahen; jedes
Schiff wird dann ohne Gnade an die Felsen geworfen, wo es zerschellt,
und die Mannschaft findet in den Fluten ihr Grab. Niemand ist imstande,
sie zu retten. Marie Schäling (Sagen aus preuß. Landen).
153. Hamburg und die Mündung der Elbe.
Hamburg ist eine Schöpfung der mündenden Elbe. Verschiedene
natürliche Umstände kamen zusammen, um hier eine mächtige Handels¬
stadt ins Leben zu rufen. Jnselbildend teilt sich der Strom in mehrere
Arme und gewährte dadurch einen bequemen Übergang nach der gegen¬
überliegenden Küste, wo bei Harburg die hohe Geest inmitten der Marsch
auf eine kurze Strecke unmittelbar den Strom berührt und vor der
Zeit des heutigen Wegebaues nur an dieser Stelle den Zugang zuließ.
Nicht unbedeutende Höhen auf dem rechten Ufer boten Gelegenheit zur
Ansiedelung, während die Einmündung der Alster die Herstellung von
Binnenhäfen ermöglichte und die Tiefe des Flusses auch den größten
Handelsschiffen bei Hochwasser noch den Zugang gestattete. Indes sind
die gegenwärtigen günstigen Verhältnisse keineswegs eine bloße Gabe
der Natur; nur mit bewunderungswürdiger Energie und Ausdauer, unter
vielen Kämpfen mit eifersüchtigen Nachbarn, die durch Gründung von
Glückstadt und Altona ihren Handel zu schädigen suchten, durch jahr¬
hundertelang fortgesetzte Zudeichung von Elbarmen und Anlegung von
Durchstichen ist es den Hamburgern gelungen, den Hauptarm des Flusses
an ihre Stadt heranzuzwingen.