Die Germanen.
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Hut und weitem, blauem Mantel fährt er auf weißem Wolkenroß durch
die Lüste; Hunde nmbellen ihn, Raben flattern um ihn her. Er ist ferner
der Totengott, der im Innern der Berge über die Toten herrscht. Er
hat aber auch die Schriftzeichen der Runen erfunden, denen man Zauber-
Wirkung zuschrieb. Ihm war der Mittwoch heilig (Wodanstag, engl.
Wednesday). Reste des Wodansglaubens finden sich in der Sage vom
wilden Jäger, der zur Nachtzeit mit dem wilden Heer durch die Lüfte fährt.
Wodans Gattin ist Freija, die Beschützerin der Ehe und der
Familie, welche die Schlüssel des Hauses an der Seite trägt; der Freitag
ist ihr geweiht. Auch sie lebt in der Sage fort als Frau Holle, d. i.
die Holde, welche bei Schneefall die Betten schüttelt und das fleißige
Mädchen mit Gold, das faule mit Pech überschütten läßt, oder als
Frau Berd)ta oder Bertha, die zur Zeit der geheimnisvollen Zwölfnächte
(um Neujahr) in langwallendem Schleier durch die Lande zieht. Von der
Erdgöttin Nerthus ferner erzählt uns der römische Geschichtsd)reiber Tacitus:
sie wohnt auf einer Meeresinsel in einem heiligen Hain; zu bestimmten Zeiten
fährt sie, Frieden und Freude verbreitend, auf einem Wagen, den heilige
Kühe ziehen, durch die Lande. Der einarmige Ziu, nach dem der Dienstag
den Namen hat, war der Gott des Krieges. Der Gewittergott ist
Donar, der mit dem Hammer bewaffnet ist und auf dem rollenden, von
Böcken gezogenen Donnerwagen dahinstürmt. Er galt den Germanen
zunächst für den Vorkämpfer der lichten Götter, der Asen, gegen die
Riesen, wilde Naturgewalten, die mit immer erneutem Angriff die gött-
liche Ordnung und Sitte bedrohten; je mehr sie aber in den kommenden Jahr-
Hunderten aus Kriegern zu einem Bauernvolke wurden, desto mehr wurde
Donar, der den Regen sendet, zum Beschirmer der Fluren und des Ackerbaus.
Genaueres als über den Götterglauben unserer Vorfahren wiffen wir
über die Mythologie der nordischen Germanen, wie sie in der Edda
zusammengefaßt ist. Dort nannte man den obersten Gott Odhin; er feiert
in feiner Burg Walhalla fröhliche Gelage mit den erschlagenen Helden,
weld)e die Walküren, die Schlachtjungfrauen, zu ihm emporgetragen haben.
Seine Gemahlin heißt Frigg; neben ihr kannte man die liebreizende
Göttin Freya. Man erzählte ferner von dem jugendlid)en Bald er, dem
Frühlingsgott; wie die lange Winternacht jährlich gleichsam den Sommer
besiegt, so wird Balder von seinem blinden Bruder Hödur erlegt, den
Loki, der Gott des Bösen und der Lüge, dazu angestiftet hat. Lokis
Tochter hieß Hei, die finstere Todesgöttin, in deren trübseliges Reich alle
die hinabsteigen, welche nicht den Tod des Kriegers auf dem Schlachtfelde
sterben. In einem letzten Kampfe, so glaubte man, würden die Götter