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Die deutsche Kaiserzeit 919—1260.
steilen Burgweg erstieg man sie; über die Zugbrücke gelangte man in den
Zwinger, einen von Befestigungen eingeschlossenen Hof, und dann erst
durch das Haupttor der Burg in den Burghof. Da erhob sich der
mächtige Burgturm (Berchfrit), die letzte Zuflucht, falls die Burg vom
Feinde erstürmt wurde; unter ihm befand sich das Burgverließ, der Kerker;
zu den oberen Stockwerken führte nur eine Brücke oder Leiter, die man
im Notfall wegnehmen konnte. Ferner lag im Burghof der Pallas, welcher
den großen Rittersaal und die Kemenaten, d. h. die mit Kaminen ver-
sehenen Frauengemächer, enthielt; an ihn schloß sich die Burgkapelle an.
Auf den übrigen Seiten war der Burghof von der starken Burgmauer
oder von Wirtschaftsräumen umgeben; in einer Ecke befand sich der oft
von der Burglinde beschattete Ziehbrunnen, der in vielen Fällen von großer
Tiefe war.
mSmc3 Auf der Burg hauste die ritterliche Familie. Sie lebte von bem,
was bie Gutshöfe einbrachten, unb von ben Zinsen, welche bie unter-
tänigen Bauern zu leisten hatten unb meist nicht in Gelb, fonbern in
Getreibe, Vieh, Wolle ablieferten. Zur Winterszeit war bas Leben oft
recht öbe unb eintönig, nur unterbrochen burch einen Jagbzug ober ben
Besuch eines fahrenden Sängers. Desto fröhlicher begrüßte man das
Kommen des Frühlings. Dann zog man hinaus zur Pirschjagd oder zur
Falkenbeize, man übte reiche Gastlichkeit oder versammelte sich zu den
großen ritterlichen Waffenfesten. Da bewiesen die Ritter auf abgestecktem
Kampfplatz vor edlen Frauen ihre Kunst in der Führung der Waffen; ent-
weder kämpften sie Mann gegen Mann mit stumpfen ober scharfen Waffen,
ober sie ritten im Maffenkampf, bem eigentlichen Turnier, gegeneinanber.
Die Zeit ber Hohenstaufen war bie Blütezeit bes Rittertums. Ritter-
liche Tugenben würben bamals am meisten gepriesen; ritterliches Wesen
anzunehmen trachtete ber reich geworbene Bauernsohn, zum Ritterstanbe
gezählt zu werben war der Wunsch der großen Geschlechter in den Städten,
und auch mancher Bischof und Erzbifchof war in allem ritterlichen Tun
Dichttunst und Treiben wohl bewandert. Auch im geistigen Leben hatten nicht
mehr die Geistlichen, wie bisher, fondern die Ritter die Führung; damals
entstanden die großen ritterlichen Heldengedichte, das Nibelungenlied
und bas Lieb von ber Kubrun, bas Lieb von Parzival, bas Wolfram
von Efchenbach gebichtet hat, und viele andere. Damals dichteten auch
die ritterlichen Minnefänger, unter denen Walther von der Vogelweide
an erster Stelle steht.
Rittertums Allmählich verfiel das Rittertum. Zunächst nahm dieser Stand,
da er ja die Erwerbsarbeit verachtete und nicht einmal zur Landwirtschaft