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kennzeichnenden Einrichtungen sanken, desto mehr stiegen die den Par-
tikularismus bekundenden Erscheinungen. Alle Fürsten wachten nicht
nur eifersüchtig über die nach dem dreißigjährigen Krieg erhaltene
Souveränität, sie schlössen nicht nur Verträge unter sich und mit dem
Auslande, sondern gingen sogar auch Bündnisse ein, die gegen das
Deutsche Reich gerichtet waren. Ihre Unterthanen aber beherrschten sie
nach dem vom Auslande, von Frankreich her, erhaltenem Beispiele. Das
absolute Regiment kam überall zur Durchführung, und die Nach-
ahmung des Lebens am Hofe zu Versailles war eine allgemeine. Daher
verbreitete sich in die weitesten Kreise, namentlich aber in die höheren,
französische Leichtfertigkeit, französische Mode, Sprache und Denkweise.
Das ehrbare, kernhafte deutsche Volkstum fand vielfach nur Pflege im
Niedern Bauern- und Bürgerstande und konnte sich erst allmählich wieder
zur Bedeutung emporringen. Die Hebung desselben ging wesentlich aus
von den Heroen unserer Litteratur.
3. Nachdem die deutsche Sprache und Litteratur die nach
dem dreißigjährigen Kriege ihr angelegten Fesseln abgeworfen und von
der Herrschaft des Auslandes sich freigemacht hatte, begann in den
letzten Jahrzehnten des Zeitalters Friedrichs d. Gr. für sie eine neue
Epoche. Nach den Vorläufern Haller, Hagedorn und Gellert tritt
mit Klopstock und Lessing die Blütezeit nationaler Dichtung ein.
Während jener das religiöse Gefühl hob und das Deutschtum feierte,
bekämpfte dieser den französischen Geschmack und ergründete das Wesen
der Dichtkunst wie das der bildenden Kunst. An Stelle französischer
Muster, denen noch Wieland in seinen gefälligen Dichtungen nach¬
eiferte, traten Shakespeare und Homer (Übersetzer Voß), die in ihrer
Bedeutung erst jetzt von den Deutschen erkannt wurden. Auf die
Schönheiten der Naturdichtungen und der morgenländischen Poesie wies
der geistreiche Herder hin. Gleichzeitig entstand der Göttinger
Dichterbund, in welchem begeisterte Jünglinge für Religion und Vater¬
land schwärmten. Man forderte die Rückkehr zum Natürlichen und
schüttelte in kraftgenialer Weise den Zwang veralteter Kunstregeln ab.
Nach dem Sturm und Drang der siebenziger Jahre folgte die
Läuterung. Die Meisterwerke, welche die beiden Heroen Goethe
1749—1832 und SchUler 1759—1805 in freundschaftlichem und
anregendem Verkehr mit einander geschaffen haben, bilden die Höhe¬
punkte der poetischen Entwicklung des deutschen Volkes.
4. Der Handel und das Gewerbe Deutschlands litten in