Full text: Geschichtliches Lesebuch

XIII. Denkschrift Bismarcks vom März 1858. 187 
mieden. Auch mit kleineren Bundesregierungen, wenn sie nicht etwa 
einer Begünstigung liberaler Bestrebungen verdächtig waren, wurde 
lieber jahrelang verhandelt, als daß man ihnen durch Majoritäts¬ 
beschlüsse Zwang angethan hätte. 
Der Gedanke, daß wichtige Meinungsverschiedenheiten durch 
Majoritätsbestimmungen am Bunde zur Entscheidung gebracht werden 
tonnten, lag so fern, daß das Wiener Kabinett den Präsidialgesaudten 
nur mit langen Unterbrechungen in Frankfurt anwesend sein und die 
Vertretung der österreichischen Interessen auf Jahr und Tag in den 
Händen des preußischen Gesandten ließ. Es begnügte sich damit, 
dem letzteren in der Person des noch fungierenden k. sächsischen Ge¬ 
sandten einen Beobachter zur Seite zu stellen. . . . 
Ein ganz anderes Bild gewähren die Verhandlungen am Bundes¬ 
tage seit der Reaktivierung im Jahre 1851. Der Fürst Schwarzen¬ 
berg nahm den Plan ans, die Hegemonie über Deutschland, zu welcher 
Preußen durch die konstituierenden Versammlungen und die Unions¬ 
versuche nicht hatte gelangen können, für Österreich durch die Mittel 
zu gewinnen, welche demselben die bestehende Bundesverfassung dar¬ 
bietet. Der Gedanke lag nahe, nachdem Österreichs innere Organisa¬ 
tion eine Richtung genommen hatte, in welcher dauernde Erfolge nur 
durch Anlehnung an Deutschland, behufs der Kräftigung des ver¬ 
hältnismäßig wenig zahlreichen deutschen Elementes im Kaiserstaat, 
erreicht werden konnten. Die Durchführung des Planes war mög¬ 
lich, wenn es Österreich gelang, sich der Majorität am Bunde auf 
die Dauer zu versichern, demnächst die Kompetenz des Bundes und 
seiner Majoritätsbeschlüsse zu erweitern, und wenn Preußen die Macht 
oder der Wille fehlte, erfolgreichen Widerstand zu leisten. Der Augen¬ 
blick war für eine solche Konzeption ein sehr günstiger. 
Österreich konnte, nach seinen intimen Beziehungen zu Rußland, 
auf dessen Unterstützung für seine deutsche Politik rechnen und hatte 
mit dem in Frankreich neu entstehenden Kaisertum Verbindungen an¬ 
geknüpft, welche gegen das Lebensende des Fürsten Schwarzenberg 
Besorgnisse vor einer engen Allianz der drei Kaiser im Gegensatz zu 
Preußen und England hervorriefen. 
Die große Mehrzahl der deutschen Regierungen, erschreckt durch 
die Revolution und die aus derselben entspringende Gefahr, einen 
Teil ihrer Souveränität an Preußen zu verlieren, lehnte sich bereit¬ 
willig an Österreich an. Letzteres konnte die, fast ohne Ausnahme 
noch heut fungierenden, Bundestagsgesandten der im Jahre 1850
	        
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