Full text: Geschichte der Neuzeit

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schaftlich schwächeren Bürger und Bauern dagegen mußten für die 
Steuern aufkommen. Dabei waren die Steuern außerordentlich hoch, 
denn Frankreich hatte infolge der Verschwendung des Hofes und der 
vielen Kriege eine ungeheure Schuldenlast. Ferner wurden die Steuern 
nicht vom Staat eingeholt; sie waren an Pächter vergeben; diese aber 
trieben oft höhere Summen ein als sie durften um sich zu bereichern. 
So lag aller Druck auf dem dritten Stand. 
Mißstände herrschten ferner im Gerichtswesen. Die Richter- 
stellen waren käuflich, die Richter bestechlich. Man konnte jederzeit 
durch einen Haftbefehl (lettre de cachet)) verhaftet und ohne richtet- 
liches Urteil ins Staatsgefängnis (Bastille) gebracht werden (Kabinetts- 
jnstiz). Die Folge war ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit. (Vgl. 
damit die Sorge für die Gerichtsbarkeit unter Friedrich dem Großen 
und Joseph II.). 
Ein Mißstand lag endlich in der Art und Weise, wie der Abso¬ 
lutismus von Ludwig XIV. und XV.gehandhabt worden war. Seit 
1614 waren die Stände nicht mehr einberufen 
worden; die unumschränkte Gewalt aber war nur zum Nutzen des 
Königs oder seiner Dynastie ausgenützt worden. Durch sittenloses Leben, 
durch sinnlose Verschwendungssucht hatte namentlich Ludwig XV. dem 
Volke jedes Vertrauen auf das Königtum geraubt. 
Als Frankreich schließlich vor dem Staatsbanke- 
r o t t stand, (es konnte die Zinsen für die Staatsschulden nicht mehr 
bezahlen), erinnerte man sich wieder der S t ä n d e. Sie wurden nach 
Versailles einberufen. Ihre Aufgabe sollte sein einen Weg 
zu finden, auf dem Frankreich seine Finanzen in Ordnung bringen könnte. 
Im Mai fanden sie sich im Schloß zu Versailles zur Beratung ein: 
vom Adel300, von der Geistlichkeit300, vom dritten Stand 600 Vertreter. 
Schon gleich zu Beginn brach ein Streit über die Art der Abstimmung 
aus. Früher war nach Ständen abgestimmt worden, d. h. die Vertreter 
des Adels gaben 1 Stimme (für den Adel) ab, ebenso die Vertreter der 
beiden anderen Stände. Da die Interessen des Adels und der Geistlichkeit 
andere waren als die des dritten Standes wurde dieser immer üb erstimmt. 
Der dritte Stand verlangte daher Abstimmung nach 
Köpfen. Im Adel wie unter den Geistlichen gab es nämlich Leute, 
welche für die Interessen des dritten Standes eintraten. Wurden deren 
Stimmen einzeln zu den 600 des dritten Standes hinzugezählt, so 
hatte dieser Aussicht die privilegierten Stände zu überstimmen. 
Als diese Forderung nicht angenommen wurde, trennten sich 
die Vertreter des dritten Standes von den übrigen, 
erklärten sich als Nationalversammlnng . (also 
als Vertreter des ganzen Volkes; da der dritte Stand 99 % der Nation 
ausmachte, war der Name nicht unberechtigt) und leisteten den 
Eid sich nicht zu trennen, bis Frankreich eine 
neue Verfassung erhalten habe.
	        
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