Y. Blüthgen, Der Schneider und die Wölfe.
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diese Nacht noch einen Feiertagsbraten.“ Diese Worte drangen dem
Schneider zu Ohren, und in großer Angst schwieg er mäuschenstill.
Der Wolf aber öffnete die Tür, hatte ein Licht in der Pfote und
leuchtete so lange in der Grube umher, bis er den Schneider ent¬
deckte, worauf er ihn bei den Beinen packte und ohne weiteres in
die Stube zog.
Als sie ihn nun schlachten wollten, schrie und wehklagte der
Schneider ganz herzbrechend, sodaß die Wölfin, die eine gute Seele
war, ein Wort für ihn einlegte. „Schön,“ sagte darauf der Wolf,
„so mag er am Leben bleiben; aber hinaus und zu den Menschen
darf er nicht wieder, sonst würde er uns verraten; er muß hier
bleiben und ein Wolf werden.“ — „Mit tausend Freuden,“ sagte der
Schneider; „Mensch hin, Mensch her; ich will lieber als Wolf lebendig
sein denn als Mensch gekocht und verspeist werden.“
So holte denn der Wolf aus dem Schranke einen seiner abge¬
legten Pelze hervor, und die Wölfin mußte den Schneider hinein¬
nähen. Der Schneider blieb nun da, lernte auch bald vortrefflich
heulen und auf allen vieren laufen und wurde Meister im Kaninchen¬
fangen, was die Wölfe, weil sie sehr plump und tölpisch sind, nicht
gut fertig zu bringen wissen.
Als sie nun eines Tages zusammen auf den Fang ausgegangen
waren, begab es sich, daß der König desselben. Landes im Walde
jagte. Sobald die Jäger in die Nähe der Wölfe kamen, gaben diese
eiligst Fersengeld und der Schneider mit ihnen, weil er fürchtete,
er könnte um seines Pelzes willen für einen richtigen Wolf gehalten
und geschossen werden. Sie rannten in das dichte Unterholz und
verbargen sich hinter Büsche, worauf der alte Wolf den anderen
zuflüsterte, sie sollten sich nur ruhig verhalten; er habe keine Hunde
gesehen, und ohne diese werde sie kein Jäger finden. Und so war
es; ein Wildschwein hatte die Hunde samt und sonders getötet, und
nach einiger Zeit hörten sie die ganze Gesellschaft dicht bei ihrem
Versteck vorbeireiten. Da aber fiel es dem Könige ein, aus Ärger
über den Tod seiner Hunde eine große Prise zu nehmen, wonach
er heftig nieste. Der Schneider, der die Höflichkeit noch nicht
verlernt hatte, sagte respektvoll: „Zur Gesundheit!“ Wie der König
das hörte, ritt er in das Gebüsch hinein, und die Jäger taten es
ihm nach. Hier erblickten sie die Wölfe, und der König erhob als¬
bald mit dem ganzen Jagdgesinde ein Freudengeschrei. Sie stachen
und warfen mit den Spießen, sodaß nur der alte Wolf entrinnen
konnte. Den Schneider entdeckte man erst zuletzt, weil er sich be¬
sonders gut verkrochen hatte, und ehe man auf ihn zielen konnte,
wälzte er sich jämmerlich heulend vor den König hin.
Dieser stieg vom Pferde herab und besah sich den Schneider hinten
und vorn, konnte aber nicht begreifen, was dies für ein seltsames