§. 14, 4. Der Argonautcnzug.
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in dem Manerwerk und vernahm Klagetöne im Innern. Hämon hatte ins¬
geheim den Versuch gemacht, seine Braut zu retten; allein das unglückliche
Mädchen hatte sich aus Verzweiflung mit Hilfe ihres Schleiers erhängt.
Hämon folgte ihrem Beispiel und durchbohrte sich beim Herannahen des Vaters
mit dem Schwerte. Kreon erbebte bei dem fürchterlichen Anblicke und fühlte
die ganze Bedeutung des Verlustes, den sein Starrsinn ihm verursacht hatte.
In seinem Schmerze lud er die teure Leiche seines Sohnes auf seinen Rücken
und trug sie nach seinem Palaste. Aber ein neuer, unerwarteter Schlag wartete
seiner. Eurydike, seine Gemahlin, hatte Antigones und Hämons Ende erfahren
und sich auf diese doppelte Schreckensbotschaft hin entleibt. Jammernd über
seine Thorheit und die unersetzlichen Verluste, zog Kreon sich in seinen Palast
zurück, wo er nur noch die trauernde Jsmene sand. Doch zeigte er sich
männlich stark. Er wagte nicht Hand an das eigene Leben zu legen, sondern
glaubte dem Willen der Götter zu entsprechen, wenn er mit Ergebung
in die göttliche Fügung sein Schicksal ertrüge, bis der Tod ihn seiner Leiden
entledigte.
Zehn Jahre später unternahmen die Nachkommen (Epigonen) der
Sieben einen neuen Zug gegen Theben. Diesmal unterlagen die Thebaner.
Sie flüchteten aus der Stadt, und die Mauern derselben wurden von den
Feinden zerstört. Die Herrschaft über Theben aber erhielt Thersändros,
der Sohn des Polyneikes.
4. Der Argonautenzug.
Phrixos und Helle. In Böotien herrschte einst ein König mit Namen
XthantQs, der hatte zwei Kinder, den Phrixos und die Helle, welche früh¬
zeitig ihre Mutter verloren. Als ihre Stiefmutter ihnen nach dem Leben trachtete,
flohen die Kleinen auf einem goldwolligen Widder über das Meer. Doch in der
Meerenge, welche Europa von Asien scheidet, fiel Helle von dem Widder herab
ins Meer, das nach ihr den Namen H ellespont, d. h. Meer der Helle, erhielt.
Phrixos ritt allein weiter und gelangte wohlbehalten an die Ostküste des
schwarzen Meeres, nach Kolchis Daselbst opferte er den goldwolligen
Widder und hing das goldene Vließ (Fell) im Haine des Kriegsgottes auf.
Bald verbreitete sich das Gerücht von diesem seltenen Schatze in ganz Griechen¬
land, und gern hätte ihn jeder besessen; endlich unternahm es Jason mit
vielen tapferen Helden, ihn zu holen.
Jason. Jason war ein Verwandter des Phrixos und eigentlich recht¬
mäßiger Erbe der königlichen Würde in der thematischen Stadt Jolkos.
Allein sein Oheim P6lias hatte sie dem Vater des Jason, der Äson hieß,
mit Gewalt genommen; Äson war darnach mit feinem Sohne Jason anss
Land gezogen und in Ruhe und Frieden alt geworden. Einst gab König
Pelias dem Meeresgotte Poseidon ein glänzendes Fest und lud zu demselben
viele edle Helden ein; unter ihnen war auch Jason. Als dieser aber auf dem
Wege zur Königsburg an einen stark angeschwollenen Bach kam, traf er daselbst
ein altes Mütterchen; dieses weinte und konnte nicht hinüber, denn die Fluten
hatten den Steg hinweggerissen. Jason empfand Mitleid mit dem Mütterchen,
nahm es auf seinen Arm und trug es glücklich hinüber. Es begegnete aber dem
Helden, daß er einen Schuh einbüßte, der im Schlamme stecken blieb; jetzt getraute