Full text: Lehrbuch für den erzählenden Geschichts-Unterricht an höheren Schulen

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5. Endlich versammelte sich das heißersehnte Parlament. 
Am 18. Mai schritten die 600 Abgeordneten unter Glocken- 18-iiI 
getaut und Kanonendonner von dem Römer, dem alten Kaiser- 1848 
saale, unter dem Jubel dichtgedrängter Menschenmassen durch 
die geschmückten Straßen Frankfurts in die Paulskirche. Es 
war das Morgenrot des kommenden deutschen Reiches. 
Zur Lösung ihrer Ausgabe wählten sie den Darmstädter 
Minister Heinrich von Gagern zu ihrem Vorsitzenden und 
nach dessen Wunsche den Erzherzog Johann zum Reichs- 
Verweser. Der volkstümliche Fürst wurde auf der Reise nach 
Frankfurt allenthalben freudig begrüßt. 
6. Während dann die Versammlung die „Grundrechte des 
deutschen Volkes" beriet, kämpfte Österreich mit den Tschechen 
in Böhmen und den Magyaren in Ungarn um seinen Bestand; 
Feldmarschall Radetzky, Schwarzenbergs Generalstabschef im 
Freiheitskriege, wurde durch eine Empörung aus Mailand ver- 
trieben. Aber in glänzendem Feldzuge, der in der Schlacht bei 
Custozza gipfelte, gewann der Feldherr das Lombardisch- 
venetianische Königreich zurück und zwang den Schirmherrn des 
Aufstandes, König Karl Albert von Sardinien, zu einem 
Waffenstillstand. „In Deinem Lager ist Österreich!" rief der 
Wiener Dichter Grillparzer dem Sieger zu. 
Die Schleswig-Holstein er aber wehrten sich gegen 
Dänemark, das sich Schleswig einverleiben wollte, um ihr gutes 
Recht der Zusammengehörigkeit. 
7. Mit heiliger Begeisterung schuf indes das Parlament 
eine Verfassung. Deutschland sollte durch einen Erbkaiser 
mit verantwortlichen Ministern und einem aus Staatenhaus und 
Volkshaus bestehenden Reichstag regiert werden. Aber wem 
sollte die Krone zufallen? Die „Großdeutsch en" wollten kein 
Deutschland ohne Österreich; die „Kleindeutschen" wollten 
das Reich unter Preußens Leitung sehen, jedoch in engem Bunde 
mit Österreich. Österreichs Verlangen, seine 30 Millionen nicht¬ 
deutschen Blutes sollten auch zum Reiche gehören, schaffte der 
kleindeutschen Partei den Sieg. Friedrich Wilhelm IV., 
der inzwischen seinem Volk eine Verfassung als Gnadengeschenk 
verliehen hatte, wurde zum D entschen Kaiser gewählt. Aber 
er selbst dachte großdeutsch; um jeden Preis wollte er Öfter- 
reich an der Spitze Deutschlands sehen. So sträubte er sich, 1849 
eine Krone anzunehmen, die für ihn „das Halsband des Leib- 
eigenen im Dienste der Revolution" sein würde. 
Der deutsche Einheitstraum war aus. Die Abgeordneten 
kehrten allmählich heim. Die Volksführer aber entfachten noch 
einmal den Sturm der Revolution: in Sachsen, in der Pfalz,
	        
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