Full text: Lehrbuch für den erzählenden Geschichts-Unterricht an höheren Schulen

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Fahne. Nun ließ er den Flüchtlingen sagen, seine Soldaten 
hatten die Höhe erflogen. Bestürzt über das vermeinte Wunder, 
öffneten sie das Thor. Unter den Gefangenen war die holde 
Fürstentochter Roxane; Alexander wählte sie zur Gattin. 
5. Am innigsten hing der große König an seinen Freunden. 
Hephästions Tod erschütterte ihn aufs tiefste. — Die gro߬ 
artigen Festspiele, die er zum Gedächtnis des Lieblings an- 
ordnete, sollten sein eigenes Begräbnis verherrlichen. 
Auf der Höhe des Ruhmes und unter großen Entwürfen 
ereilte ihn ein früher Tod. Sprachlos lag er im Fieber; als 
er hörte, seine Soldaten verlangten ihn noch einmal zu sehen, 
ließ er das Heer an seinem Sterbelager vorüberziehen; mühsam 
das glühende Haupt erhebend, nickte er seinen weinenden Treuen 
323 den Abschiedsgruß zu. Er starb im 33. Jahr seines Lebens in 
v.Chr. Babylon. Die Weissagung indischer Derwische war schnell in Er- 
füllung gegangen: „Du bist ein Mensch wie andere und willst so 
viel Land einnehmen und machst dir Unirtuße uud anderen. Bald 
wirst bu davon nicht mehr besitzen, als nötig ist zu einem Grabe." 
7. Demosthenes' Ausgang und der Diadocheu-Krieg. 
1. Alexanders Nachlaß, sein ungeheures Reich und Heer, 
verglich ein Grieche dem Cyclopen Polyphem, nachdem „Niemand" 
ihn geblendet. Das Auge fehlte, die Leitung. 
Die Auflösung begann in Europa. Die Griechen empörten 
sich wider den makedonischen Statthalter Antipatros. Im Kampf 
um die Thermopylen fochten sie nicht unwert ihrer ruhmvollen 
Ahnen. Aber neue Scharen ans Asien, die Antipater zu Hülse 
kamen, brachten sie zum Weichen. Mit der Siegeshoffmmg ent¬ 
sank ihnen der Mut. In der Angst vor Antipaters Rache lud 
Athen die Verantwortung des Aufstandes auf einzelne Wort- 
führer, die zum Tode verurteilt wurden. Unter diesen war 
Demosthenes, den sein Volk kurz zuvor aus unverschuldeter 
Verbannung ehrenvoll zurückgerufen und im Piräns ebenso 
festlich eingeholt hatte wie einstmals Alcibiades. 
Jetzt verließ der letzte große Grieche mit seinen Freunden 
die Vaterstadt, für welche er sein Leben lang gekämpft und ge- 
litten hatte. Im Asklepios-Tempel auf dem Inselchen Kalanria 
unweit Äginas entdeckte ihn der „Flüchtlingsjäger" Archias, ein 
verkommener Schauspieler. Unter dem Vorgeben, ber Statt¬ 
halter werbe ihm kein Leib zufügen, suchte er ihn aus seinem 
Asyl zu locken. „Archias," entgegnete ber Rebner, „bcine Schau¬ 
spielerei hat mich nie berückt; beine Botschaft berückt mich auch 
nicht/ Als der Häscher sich auss Drohen legte, nahm Demosthenes
	        
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