Full text: Literaturproben zur Geschichte der neuhochdeutschen Literatur (Teil 1)

236 
Johann Christoph Friedrich Schiller. 
in der Litt. Zeitung hören. Er toirb, wenn es irgend seine Gesundheit 
erlaubt, Ihnen gewiß auch mit dieser Gelegenheit schreiben. Wir sahen 
uns diesen Winter selten, weil wir Beide das Haus nicht verlassen 
durften. 
Daß ich Anträge gehabt, mich in Berlin zu fixieren, wißen Sie, und 
auch daß mich der Herzog von Weimar in die Umstände gesezt hat, mit 
Aisance hier zu bleiben, da ich nun auch für meine dramatischen Schriften 
mit Cotta und den Theatern gute Akkorde gemacht, so bin ich in den Stand 
gesetzt, etwas für meine Kinder zu erwerben, und ich darf hoffen, wenn ich 
nur bis iu mein fünfzigstes Jahr so fortfahre, ihnen die nöthige Unabhängig¬ 
keit zu verschaffen. Sie sehen, daß ich Sie ordentlich wie. ein Hausvater 
unterhalte, aber ein solches Häuflein von Kindern, als ich um mich habe, 
kann einen wohl zum Nachdenken bringen. 
Übrigens leben wir hier in einem sehr angenehmen Verhältniß, und ich 
habe es noch keinen Augenblick bereut, daß ich es dem Aufenthalt in Berlin 
vorgezogen habe. Wäre ich freilich ein ganz unabhängiger Mensch, so würde 
ich dem Süden um vier Grade uäher rücken. 
Von unserer literarischen Welt kann ich Ihnen wenig berichten; denn ich 
lebe wenig mehr in ihr. Die speculative Philosophie, wenn sie mich je gehabt 
hat, hat mich durch ihre hohlen Formeln verscheucht, ich habe auf diesem 
kahlen Gefilde keine lebendige Quelle und keine Nahrung für mich gefunden; 
aber die tiefen Grundideen der Jdealphilosophie bleiben ein ewiger Schatz, 
und schon allein um ihretwillen muß man sich glücklich preisen, in dieser 
Zeit gelebt zu haben. Um die poetische Produktion in Deutschland sieht es 
aber kläglich aus, und man sieht wirklich nicht, wo eine Litteratur für die 
nächsten 30 Jahre Herkommen soll. Auch nicht ein einziges neues Product 
der Poesie weiß ich Ihnen seit langer Zeit zu nennen, was einen neuen 
Nahmen an der Spitze trüge, und was einem Freude machte, dagegen regt 
sich die eselhafte Nachahmungssncht der Deutschen mehr als jemals, eine Nach¬ 
ahmung, die bloß in einem identischen Wiederbringen und Verschlechtern des 
Urbildes besteht. Solcher Nachahmungen hat auch mein Wallenstein und 
meine Braut von Meßina vielfach hervorgebracht, aber man ist auch nicht 
um einen Schritt weiter gefördert. 
Aber nun auch genug von meinen und den deutschen Angelegenheiten. 
Ich wünschte mir anschaulich zu machen, wie Sie in Rom leben, und worinn 
Sie leben. Der deutsche Geist sizt Ihnen zu tief, als daß Sie irgendwo 
aufhören könnten, deutsch zu empfinden und zu denken. Frau von Staäl 
hat mich bei ihrer Anwesenheit in Weimar aufs neu in meiner Dentschheit 
bestärkt, so lebhaft sie mir auch die vielen Vorzüge ihrer Nation vor der 
unsrigen fühlbar machte. Im philosophieren und im poetischen Sinne haben 
wir vor den Franzosen einen entschiedenen Schritt voraus, wie viel wir auch 
in allen anderen Stücken neben ihnen verlieren mögen. 
Haben Sie Ihre Bekanntschaft mit Schlegeln nun erneuert und wie 
stehen Sie mit ihm? Die Welt vernimmt jezt wenig von diesen beiden 
Brüdern, aber das Unheil, was sie in jungen und schwachen Köpfen ange¬ 
dichtet, wird sich doch lange fühlen, und die traurige Unfruchtbarkeit und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.