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den ragenden Gipfeln der Alpen. Auch die Gewässer in dieser Hochebene
sind anders als drunten in Norddeutschland; sie haben reihenden Lauf
und verraten in grünweißlichen Fluten ihre Herkunft aus den Firn- und
Gletschergebieten des Hochgebirges. Mit solcher Jugendkraft und in
solcher Farbe begegnet uns nun auch die Isar, während rings schon Vor¬
orte zerstreut liegen, die Landhäuser und Fabriken sich mehren und die
Straßen und Eisenbahnlinien immer dichter nach allen Richtungen hin
ausstrahlen.
2. München, das wir nun erreicht haben, ist der Herrschersih der
bayrischen Könige, die alte Pflegstätte eines berühmt gewordenen Kunst¬
lebens, der Ausgangspunkt für zahllose Reisende, die zu den Wundern
der Alpenwelt pilgern, und — die Heimatstätte eines unübertroffenen
Bieres. In diesen Besonderheiten der Stadt liegt zugleich die Ursache
ihrer Bedeutung und ihres Weltrufes.
Der Kunstsinn hochherziger Fürsten, besonders Maximilians I. und
Ludwigs I., hat München sein Gepräge aufgedrückt. Ihr Einfluß hat die
Stadt mit unvergänglichen Bauwerken geschmückt, in denen uns die Bau¬
weise des klassischen Altertums in ihren edelsten Formen entgegentritt.
Wenn man durch das hohe Säulentor der Propyläen 76 auf den Königsplatz
hinausgetreten ist, erblickt man zu beideu Seiten desselben stolze Gebäude,
zu Museen eingerichtet, mit Säulenhallen und ragenden Giebeln, und es
überkommt uns die Vorstellung, als ob wir uns auf einer Stätte Alt¬
griechenlands bewegten.
Aber außer diesen großartigen Nachbildungen antiker Bauwerke, die
im verflossenen Jahrhundert errichtet wurden, besitzt die Stadt auch aus
früheren Zeiten bedeutsame Schöpfungen: schöne Kirchen, stattliche Häuser
und andre Wahrzeichen der Kunst. Die neuere Zeit ist gleichfalls nicht
müßig gewesen und hat Großbauten, Brücken und Denkmäler erstehen
lassen, in denen sich der Kunstsinn der Gegenwart ebensosehr wie der
heutige Reichtum der Stadt verkörpern.
Unschätzbar sind die Anregungen, die Einheimische und Fremde aus
der Betrachtung dieser Kunstwerke geschöpft haben, und es ist gewiß kein
bloßer Zufall, daß die Kunst- und Malerschule, die hier in München unter
Karl Theodor gegründet wurde, auf eine Zeit besonders regsamer Ent¬
wicklung und auf hervorragende Leistungen zurückblicken kann. Auch das
Kunstgewerbe ist von diesen Anregungen beeinflußt worden, und seine Er¬
zeugnisse und Schöpfungen wetteifern mit denen von Dresden, wo die
gleichen Ursachen für die Blüte dieser Gewerbe walten. Für die Maler
ist München eine ganz besonders bevorzugte Stadt. Die herrlichen Bauten,
die anmutigen Landschaften am Ufer der grünen Isar, die düstern, aber
malerischen Sumpf- und Moorstriche fesseln das Auge. Auch das nahe
Hochgebirge mit seinen unvergleichlichen Seen, Tälern und schimmernden
Heider und Nohl, Deutsches Lesebuch für Mittelschulen. III. Teil.
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