Object: Theorie und Praxis der Heimatkunde

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Du bist verwundert? Besinne dich doch! Heute beginnen die 
Sommerferien, und alle die Hunderte, die du hier siehst, wollen die 
goldne Freiheit benutzen, um sich in andern Gegenden zu erholen. Kannst 
du dir nun ihre Freude und Ungeduld erklären? 
Zu den erwachsenen Sommerfrischlern^ haben sich neuerdings auch 
Kinder gesellt. Die meisten Städte, sowie auch größere Landgemeinden 
schicken alljährlich eine Anzahl schwächlicher und würdiger Schüler ins 
Gebirge und ins Vogtland. Sie stehen unter der Obhut eines Lehrers und 
sollen sich wie jene Erwachsenen in der reinen, gesunden Waldluft kräftigen. 
Ferienkolonien nennt man diese Einrichtungen. In Bärenwalde, Ober- 
crinitz, Herlagrün und andern Orten sind solche Kolonien schon seit 
Jahren ständige Gäste. 
Schnüre dein Bündel und wandere mit mir nach Obercrinitz! Im 
Malzschen Gasthofe daselbst hat die Planitzer Kolonie schon seit drei 
Jahren ihre Herberge. Vom nahen Kirchturme schlägt es sechs Uhr. Wir 
treten in den Gasthof ein. Trotz der frühen Stunde herrscht hier schon 
reges Leben. Lauter Glockenschall hat soeben die Kolonisten aus ihrem 
süßen Schlummer geweckt. Sie sind nun emsig beschäftigt, sich zu waschen 
und anzukleiden. Jeder ordnet dann noch seine Lagerstätte. Nun ruft 
ein neues Zeichen zum ersten Frühstück. Wir folgen den Kolonisten 
in den gemeinsamen Speiseraum. Auf langen Tafeln ist bereits für 
alle der Tisch gedeckt. Jeder nimmt seinen besümmten Platz ein, und 
dann lassen sich alle den Morgenimbiß, bestehend aus Brötchen und Milch, 
wohlschmecken. Nach beendigter Mahlzeit dürfen sich die Kolonisten im 
Garten tummeln. Die Knaben belustigen sich an den Turngeräten, wäh¬ 
rend die Mädchen spielen und singen. Einige von den Kindern begeben 
sich wieder nach den Schlafräumen. Sie haben für den heutigen Tag 
die Aufgabe, dort alles zu säubern und zu ordnen. Wir gehen mit ihnen. 
Zuerst betreten wir den geräumigen Tanzsaal. In schön geordneter Reihe 
sind hier zweiundzwanzig Lagerstätten auf dem Fußboden eingerichtet. 
Sie bestehen aus einem Strohsack, Kopfkissen, Bettuch und einer wollenen 
Decke zum Zudecken. Nebenan, in einer großen Stube, befinden sich 
einundzwanzig ebensolche Ruhebetten für die Knaben. Allenthalben herrscht 
peinlichste Sauberkeit. Eben treten auch die andern Kinder herein. Sie 
vollenden ihren Anzug/ denn es soll ein Spaziergang unternommen werden. 
Auf dem Turnplätze wird angetreten. Der Lehrer mustert noch einmal 
seine Schützlinge, daß nicht etwa einer durch zerrissene oder beschmutzte 
Kleider der Kolonie zur Schande gereiche. Dann geht's mit Sang und 
Klang zum Tore hinaus. Die letzten beiden tragen einen schweren Korb. 
Darin ist das zweite Frühstück enthalten/ denn vor Mittag will die 
Schar nicht zurückkehren. Bald ist der Wald erreicht. Hier zerstreuen 
sich die Kinder, um sich Beeren zu ihrem Brote zu suchen. Ein gellender 
Pfiff ruft sie nach kurzer Zeit wieder zusammen. Die Lippen zeigen, 
daß ihre Mühe nicht vergeblich war. Nun wird das Frühstück verteilt. 
Allen mundet es vortrefflich. Dabei schallt der Wald wider von lustigem
	        
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