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2. Besuche die Fortbildungsschule!
Wolfenbüttel, d. 28. Oktober 1907.
Geehrter Herr Walter!
Als ich Ostern d. I. einen Lehrherrn für meinen Sohn suchte,
hörte ich von verschiedenen meiner Bekannten, daß Sie in Ihrem
Fache anerkannt Tüchtiges leisteten. Ich übergab Ihnen deshalb
gern meinen Karl als Lehrling und habe auch bis jetzt insofern
keine Veranlassung, die getroffene Wahl zu bedauern, als mein
Sohn in Ihrer Werkstätte in der Tat eine durchaus zweckent¬
sprechende Ausbildung erhält. Ich erkenne das mit Dank an,
zumal man das leider nicht überall findet.
Aber mit der Werkstättenausbildung allein kommt heute
keiner mehr zum Ziele, sondern in unsern Tagen muß auch der
kleinste Handwerker und Gewerbetreibende die Feder zu führen
verstehen, wenn er nicht der Konkurrenz unterliegen will. Man
verlangt von ihm beispielsweise, daß er Zeichnungen entwerfen.
Eingaben an Behörden, Rechnungen, Geschäftsbriefe, Voranschläge
anfertigen kann: ebenso mutz er die Buchführung verstehen u.dgl.m.
Alle diese Sachen kann aber mein Sohn in der Fortbildungs¬
und Gewerbeschule erlernen. Dazu kommt auch, daß hier die in
der Volksschule erworbenen Kenntnisse vor dem Vergessen bewahrt
und noch erweitert und vertieft werden. Und das ist sehr gut. denn
ein Sprichwort sagt mit Recht: „Stillstand ist Rückgang." Ich
habe auch nie einen gescheiten Menschen klagen hören, daß er sich
zuviel Kenntnisse erworben habe: wohl aber hat es schon mancher
in späteren Jahren bedauert, in der Jugend nicht mehr gelernt
zu haben.
Ich bitte Sie deshalb auf Grund unseres Lehrvertrages drin¬
gend, meinem Sohne nicht nur den Besuch der dortigen Fort-
bildungs- und Gewerbeschule zu gestatten, sondern ihn zu regel¬
mäßigem Schulbesuch, zu Fleiß und gutem Betragen ausdrücklich
anzuhalten.
In der Hoffnung, keine Fehlbitte getan zu haben, zeichnet
Ihr
ergebenster
Heinrich Meyer.
Aus Wilkes Aufsätzen f. F. Lch.
Lies: Karl Krause. — Was aus einem braven Handwerker werden kann. (Scharfs Lesebuch.)
„ Jschokke: Handwerk hat goldnen Boden.
„ v. Gizyki: Aufwärts, aus eigener Kraft.
3. Nach Mekka. Eine Gesellenwandergeschichte.
An der Südwand des Tischlerhauses wucherte üppiger Wein,
die Blätter hingen tief und dunkelgrün über die Fenster.
„Am 1. April 1814 habe ich ihn gepflanzt, und mein Detel ist
an demselben Tage geboren." pflegte Meister Rieper zu sagen,
wenn man Stock und Trauben lobte.