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Selbstverwaltung nach englischem Muster unter einem königlichen
Gouverneur.
Die Kolonisation in den fremden Weltteilen hat den Nationen
Europas und ihrer Kultur die Herrschaft über den größten Teil der
Erde gegeben und damit der Weltgeschichte neue Bahnen gewiesen.
VII. Der Staat im Wötkerverlrefir.
55. Die Stellung des Staates im Völkerverkehr wird be-
stimmt durch seine Souveränität, die eine Unterwerfung unter eine
höhere Autorität ausschließt. Jeder Vertrag mit einem fremden
Staate bringt also eine Beschränkung der Souveränität mit sich. Ist
er unfreiwillig, so bindet er den dazu gezwungenen Staat innerlich
nur so lange, als die Machtverhültnisse, die ihn veranlaßt, fortdauern.
Aus der Souveränität folgt weiter, wenn dieSelbstbehauptung es verlangt,
das Recht zum Kriege als der gewaltsamen Form der Politik (Völker¬
prozeß). Doch ist über das, was hier Vernunft und Gewissen fordert oder
zuläßt, die Meinung der Zeiten sehr verschieden gewesen. Im Altertum
fühlt sich der Staat nur als Macht und sieht in dem Nachbarn seinen
Feind, den er zu unterwerfen oder zu vernichten strebt (hostis = Fremder
und Feind). Daher ist die Regel nicht der Friede, sondern der Krieg
selbst zwischen Staaten, desselben Volkes; die Griechen als Gesamtheit
fühlten sich sogar grundsätzlich berufen zur Herrschaft über die Aus¬
länder (Barbaren; ßanßdoav EXXrjvag ccq/eiv elxög). Daraus folgt
die harte, oft grausame Kriegführung (Abschlachtung oder Versklavung
der Kriegsgefangenen, Zerstörung eroberter Städte u. dgl.). Daneben
bilden sich immerhin gewisse formale Regeln für den Völkerverkehr
aus (feierliche Kriegserklärung durch die römischen Fetialen; Un¬
verletzlichkeit der fremden Gesandten). Erst die Eroberung des Ostens
durch Alexander den Großen verbindet große Völkerreiche friedlich
durch die hellenische Kultur und stellt eine Art Gleichgewicht zwischen
den Hauptstaaten des Ostens (Makedonien, Syrien, Ägypten) her. Die
Bildung des römischen Reichs geht aus demselben einseitigen Macht¬
streben hervor, faßt aber schließlich die ganze Mittelmeerwelt zu einer
großen Staats- ltnb Kultureinheit zusammen, sichert ihr den inneren
Frieden und bereitet die Idee von der Einheit der Menschheit vor.
50. Dieser verhilft das Christentum, das auf dem Boden der antiken
Kultureinheit erwächst, vollends zum Durchbruch. So fühlt sich die christ¬
liche Welt als eine große Völkergemeinschaft und trotz fortdauernder
innerer Gegensätze und Kämpfe doch solidarisch verbunden gegen Heiden-
tum und Islam (die Kreuzzüge). Erst im 16. Jahrhundert kommt diese
Solidarität ins Wanken (Bund Frankreichs mit der Türkei). Zugleich
wächst der friedliche Verkehr der Staaten durch die stehenden Gesandt-