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Sagen von Heinrich dem Löwen.
Teile fielen herab. Nun folgte der Löwe seinem Retter und wollte ihn nicht
mehr verlassen. Er wanderte mit ihm, und abends jagte er ein Stück Wild,
und Heinrich briet es, und was er übrig ließ, das fraß der Löwe mitsamt
den Knochen. So wanderten sie weiter und kamen nach Jerusalem, und
Heinrich betete am Grabe des Herrn. Dann bestieg er ein Schiff, um heim-
zufahren; aber der Schiffer wollte den Löwen nicht mitnehmen. Man sperrte
ihn ein und fuhr ab; aber nach kurzer Zeit kam der Löwe, sprang ins Wasser
und schwamm dem Schiffe nach. Das erbarmte Heinrich, er nahm das treue
Tier auf, mußte aber selbst mit ihm das Schiff verlassen.
C. Rückreise. Nun wanderte er ratlos im heißen Sande, den Löwen
neben sich, und war todmüde. Ihn zog es nach der Heimat, aber Braun-
schweig war weit! Plötzlich stand der Teufel neben ihm und höhnte: „Weißt
du, was heute zu Braunschweig geschieht? Da tönen Geigen und Flöten,
denn deine „Witwe" Mathilde hält Hochzeit!" — „Teufel!" fuhr Heinrich
auf, „bringe mich hin, noch heute!" — „Gern," sagte jener, „dazu komme ich
ja!" — „Und was willst du dafür?" forschte Heinrich. „Gar nichts," war
die Antwort, „ich trage dich hin und deinen Löwen auch! Nur . . —
„Nur?" — „Nur darfst du nicht einschlafen, wenn ich dich auf den Wind-
mühlenberg niedergesetzt habe und den Löwen hole!" — „Und wenn ich
einschlafe?" — „O, wenn ich dich schlafend finde, dann bekomme ich nur nach
deinem Tode deine Seele!" — „Gut," sagte Heinrich, „vorwärts! Ich will
nicht schlafen!" Da packte ihn der Teufel, und windschnell ging es durch
die Lüfte, so schnell wie die Gedanken fliegen. Jetzt setzte er Heinrich nieder
auf den Windmühlenberg, und es dämmerte schon, und Heinrich war todmüde.
Nun flog der Teufel langsam, und es dauerte lange, bis er wiederkam, und
trotz aller Anstrengung schlief der Wartende ein. Als nun der Teufel mit
dem Löwen angesaust kam, brüllte das treue Tier laut vor Freude, und
Heinrich erwachte. So hatte der Teufel ihn nicht schlafend gefunden, und
wütend jagte er davon; der treue Löwe hatte seinen Herrn gerettet.
0. Wieder daheim. Im Schlosse zu Braunschweig war wirklich Hoch-
zeit. Sieben Jahre war Heinrich fort, und alle hielten ihn für tot. Seine
Gattin aber wurde von allen Seiten bedrängt, und fast hätte ihr ein böser
Nachbar das Land, das Erbe für ihre kleinen Söhne, geraubt. Da entschloß
sie sich, wieder zu heiraten; aber blaß und traurig saß die Braut an
der Hochzeitstafel und schaute in die Ferne. Plötzlich stand im dunklen
Rahmen der Tür ein hochgewachsener Fremdling und befahl einem Edelknaben,
zur Braut zu gehen und sie um einen Trunk Weins zu bitten für einen
Pilger, der aus dem Heiligen Lande komme. Bereitwillig füllte die Fürstin
selbst einen goldenen Becher; als aber der Knabe ihr den Becher zurückbrachte,
da lag auf dem Grunde ein Ring. Die Fürstin ergriff ihn, und es war
Heinrichs Ring, den sie ihm selbst geschenkt hatte! Alsbald sprang sie auf
und lag in den Armen ihres Gatten, und die kecken Gesellen, die sein Weib