Der Dulder. 223
kommt — Moltke!" Er suchte sich einen Wirkungskreis in der Pflege der
Kunst und hat große Verdienste um die Berliner Sammlungen. Darum hat
man das neue große Museum, das in Berlin erbaut wurde, „Kaiser-Friedrich-
Mnseum" genannt und hat ein Reiterstandbild Kaiser Friedrichs davor errichtet.
Sein Haus stand jedem bedeutenden Künstler und Gelehrten offen, und ein
Kreis kluger Männer sammelte sich um ihn und seine geistvolle Gemahlin
Viktoria, die Tochter der Königin von England . Sein früherer Lehrer,
Professor Curtius, machte ihn auf die Kunstschätze aufmerksam, die in den
griechischen Ländern noch im Boden ruhten, und er hat es veranlaßt, daß
auf Kosten des Deutschen Reiches in Olympia (vgl. S. 53) Ausgrabungen
gemacht wurden, durch die man diese alten Schauplätze der griechischen Ge-
schichte mit vielen Kunstwerken wieder ans Licht brachte. Auf diesem Gebiete
war ihm wohl die schönste Freude, daß er im Jahre 1880 in Köln sein
durfte zur Vollendung des herrlichen Doms, an dem über 600 Jahre ge-
baut war und der sich nun mit zwei gewaltigen Türmen im grünen Rheine
spiegelt, vollendet wie der Bau des Deutschen Reiches.
C. Der Dulder. Aber Gottes Wege sind unerforschlich. Das Leben des
strahlenden Helden, des reichgebildeten Kronprinzen sollte anders enden, als
Deutschland erwartete. Eine leichte Heiserkeit, bei der sich niemand Schlimmes
dachte, befiel den Kronprinzen, und sie wurde ärger und ärger. Der Feldherr
mit der prächtigen Kommandostimme konnte nur noch leise und tonlos sprechen.
Da wurde man besorgt, und die deutschen Ärzte erklärten eine schwere Operation
am Kehlkopf für notwendig. Ein englischer Arzt aber, der für sehr ge-
schickt galt, meinte den Kronprinzen ohne gefährlichen Eingriff heilen zu können.
Mit seiner treuen Gattin und Pflegerin ging der Kronprinz nach England
und später nach SanRemo in Italien; aber die Krankheit wurde schlimmer.
Kein Wort konnte der Arme mehr sprechen, schriftlich verkehrte er mit den Seinen;
nur die treue Gattin verstand ihn durch Blicke. Alle erkannten jetzt den
furchtbaren Ernst der Lage, und mit schwerer Sorge schaute Deutschland im
Frühling 1888 nach San Rento. Da kam der Schlag von der andern Seite. 1888
Am 9. März starb Kaiser Wilhelm I. „Wenn ich nur noch einmal meinen
Fritz umarmen könnte!" hatte er sehnsüchtig gemeint; aber es war doch besser,
daß der alte Herr hinweggenommen wurde, daß er nicht am Sarge seines
einzigen Sohnes zu stehen brauchte.
Herb aber war das Schicksal des Sohnes. Er hörte den Tod des
Vaters, er eilte trotz des rauhen Winterwetters herbei nach Berlin; er trat
die Regierung an und nannte sich Kaiser Friedrich III., indem er sich so
an seinen Ahnherrn Friedrich II., den großen Preußenkönig, anreihte. Er
wollte viel Gutes tun, aber es sollte nicht sein. Der Winter wollte nicht
weichen, und die Angst wich nicht von den Gemütern.
Seine Regierung von hundert Tagen war nichts als ein langsamer
Todeskampf. 92 ur vom Fenster aus durfte er den Leichenzug seines Vaters