Full text: Lebensbilder aus Sage und Geschichte (Vorstufe)

Wodan auf der Walstatt. 93 
Wege!" Ängstlich bergen sich die Menschen in ihre Häuser und lassen die 
wilde Jagd vorüberziehen, und wehe dem, der sich hinauswagt: unaufhaltsam 
wird er mitgerissen und muß folgen durch die Lüfte, und nie kommt er wieder. 
Dem Schmied aber, der einst in wilder Sturmnacht gefällig sein Roß neu 
beschlug, hinterließ der Gott das zerbrochene Eisen, und am nächsten Morgen 
war es eitel Gold. — So ist Wodan in den wilden Wäldern Deutschlands 
vor allem der Sturmgott, der über die Baumwipfel saust, der auch über das 
Meer fährt und die Schiffe an den Schnäbeln packt und lenkt, wohin er 
will, und noch Jahrhunderte nachher, als man nicht mehr an die alten Götter 
glaubte, erzählte man sich in furchtbaren Sturmnächten vom „wilden Jäger", 
und damit er die Menschen schonte, stellte man ihm noch lange Futter für 
Pferd und Hunde vor das Fenster. 
C. Wodan aus der Walstatt. Am liebsten aber stürmt Wodan dahin, 
wo es Kampf und Schlacht gibt. Dann schwingt er den Goldspeer, die 
beiden Wölfe jagen voran, und hinter ihm stürmt die Schar der Walküren, 
der schnellen Schlachtjungfrauen mit goldenem Haar uud goldener Brünne; 
allen voran Freia, die wunderschöne, jungfräuliche Göttin. Wenn der 
Zug die Erde berührt, dann regnet es Blut, uud die Speere fliegen wie 
Flocken im Schneegestöber. Wodan aber lenkt die Schlacht; er führt seine 
Lieblinge zum Siege, und die Walküren senken dem die Lanze ins Herz, dem 
zu sterben bestimmt ist. Oft auch greift er selbst zur Waffe: dann saust sein 
nie fehlender Goldspeer dahin, und auch alle, über die er hinwegfliegt, sind 
dem Tode geweiht. Niemand aber sieht den Gott und sein Gefolge. Nur 
der sterbende Held sieht manchmal die weißen Flügel der Götterrosse schimmern. 
Dann deckt der Tod seine Augen, und eine Walküre hebt ihn mit ihren 
weißen Armen auf ihr Roß und reitet mit ihm empor nach Walhall. Dort 
werden alle auf der Walstatt Gefallenen wieder zum Leben erweckt, ihre 
Wunden schließen sich, Freia reicht ihnen den Willkommenstrunk, und nun 
leben sie ewig in Wodans Hause. Am Tage ziehen sie durch die fünfhundert 
und vierzig Tore Walhalls hinaus zum Kampf und schlagen sich tiefe Wunden. 
Am Abend aber stehen alle Verwundeten heil wieder auf, und nun sitzen sie 
mit Wodan beim fröhlichen Mahle. Sie schmausen vom Fleische des Ebers, 
das immer wieder nachwächst, und trinken feurigen Met, den ihnen die 
Walküren in goldenen Schalen und großen Trinkhörnern darreichen. Auch 
seine Wölfe speist Wodan mit Fleisch. Er selbst aber bedarf nicht der Speise: 
nur vom Weine lebt Wodan, der Walvater. 
v. Wodan der Wanderer. Aber noch anderes als Kampf und Sieg 
liebt Wodan: er durchforscht unablässig alle Geheimnisse der Welt und sucht 
nach Weisheit, „der grübelnde Äse". Hat er doch sein eines Auge hin¬ 
gegeben um einen Trunk aus dem Weisheitsquell, den ein unüberwindlicher 
Riese bewacht. Nun wandert er durch die Welt der Riesen und Zwerge, 
die geheime, uralte Weisheit hüten, und mißt sich mit ihnen in klugen Reden.
	        
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