Reise nach Kreta.
9
aber springe du hier hinab ins Meer und hole mir diesen goldenen Ring
zurück, den ich jetzt in die Fluten werfe. So will ich dir glauben, daß
du ein Sohn des Meergottes bist, und die Kinder schonen." Nun flehte er
zum Zeus, und alsbald ließ dieser einen prasselnden Blitz neben seinem Sohne
niedelfahren. Im nächsten Augenblick aber rief Theseus seinen Vater Po¬
seidon an und sprang unverzagt ins Meer. Sofort schwammen Delphine
herbei und trugen ihn in Poseidons glänzenden Palast am Meeresgrunde.
Meergötter. Römisches Relief.
Dort sah er die Schar der Meermädchen in flatternden Goldgewändern den
Reigen tanzen, dort sah er dann den hohen Vater auf perlenglänzendem
Throne sitzen. Freundlich winkle der Gott, und seine hohe Gemahlin, die
neben ihm saß, hüllte den Jüngling in einen Purpurmantel und setzte ihm
einen Kranz von Rosenblüten aufs Haupt. Dann gab ihm der Vater den
goldenen Ring des Minos, und im göttlichen Schmucke kehrte er zurück an
die Oberwelt. Da scheute Minos den Göttersohn, und er bewirtete ihn und
die anderen Gefangenen in den nächsten Tagen als geehrte Gäste in seinem
Paläste. Dort erblickte den Theseus die wunderschöne Tochter des Minos,
Ariadne, sie sah, wie jung und schön der Fremde war, und sie be¬
schloß, ihm zu helfen, und zwar auf sehr einfache Weife. Ant Vor¬
abend des verhängnisvollen Tages gab sie ihm nichts als ein Knäuel Garn,
und das wurde seine Rettung. Die Gefangenen wurden nämlich stets in
das Labyrinth geführt, einen Riesenbau mit zehntausend Zimmern und zahl¬
losen gewundenen Gängen. Dort fraß sie der Minotauros, wenn er sie fand,
und er fand am Ende jeden, denn niemand konnte aus dem Gewirr des
Labyrinthes wieder herausfinden. — Als nun Theseus und die Seinen am
nächsten Mrrgen hineingeführt wurden, ging er selbst gesenkten Hauptes
zuletzt, als sei er sehr traurig. Unbemerkt von den Führern knüpfte er das
Ende seines Garnknäuels in der Nähe des Eingangs fest, und nun schritt er
mit den andern weiter und wickelte dabei das Garn ab. Als man tief