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29. Maria Theresia.
1. Das Austreten der Kaiserin. Die Gegnerin Friedrichs des
Großen im Kampfe um Schlesien war Österreichs große Kaiserin
Maria Theresia.
Als sie nach der Bestimmung ihres Vaters die Regierung der
österreichischen Länder übernahm, stand sie im Alter von 23 Jahren.
Sie war vermählt mit dem Herzoge Franz von Lothringen, der
auch deutscher Kaiser wurde. Wer sie sah, mußte sogleich erkennen,
daß sie wirklich zu einer Herrscherin geboren war. Ihr Außeres
war echt fürstlich. Denn sie hatte eine hohe Gestalt und eine
würdige Haltung, die sie bis ins späte Alter bewahrte. Vielgerühmt
wurden ihre Schönheit und Anmut, und aus dem klaren, feurigen
Auge strahlten Freundlichkeit und Güte. Ihre Natürlichkeit und
treuherzige Offenheit gewannen ihr bald die Herzen aller Unter-
tanen. Von steifer Förmlichkeit wollte fie nicht viel wissen, und
allerlei hübsche Geschichten erzählte sich von ihr das Volk. Als
sie gleich nach ihrem Regierungsantritte zu Preßburg in Ungarn
an der Krönungstafel faß, nahm fie die Krone, weil die ihr zu
schwer war, ohne weiteres ab und fetzte fie vor sich auf die Tafel.
Bei dem Krönungszuge ihres Gemahls in Frankfurt rief fie vom
Balkon fröhlich zum Volke herab: „Vivat Kaiser Franz!" Und sie
lachte aus vollem Halse, als der Kaiser im Krönungsgewande mit
den langen Handschuhen vorüberzog: „Die feint) dir halt viel zu lang!"
2. MariaTheresia als Herrscherin. Der Kaiserin Tag war streng
geordnet. Sie stand früh auf, im Sommer um 5, im Winter um
6 Uhr. Nach dem Morgengebete ging fie in die Hofkapelle zur Meffe,
frühstückte dann und arbeitete bis 9 Uhr die eingegangenen Schreiben
durch. Um 10 Uhr konnte jeder Untertan eine Bittschrift abliefern.
Bei den Beratungen der Minister, die ganz regelmäßig stattfanden,
war sie immer zugegen. Alle wichtigeren Angelegenheiten über-
dachte sie reiflich; ihren Beschluß brachte sie dann am selben Abend
noch zn Papier.
Zu Vergnügungen blieb ihr bei dieser Tätigkeit wenig Zeit
übrig. In jungen Jahren hatte sie wohl heitere Gesellschaft,
Jagd, Spiel und Theater geliebt, aber später fand fie daran
kein Gefallen mehr. Die Sorge für die Regierung und die Er-
ziehung ihrer Kinder nahmen sie ganz in Anspruch. Ihre Er¬
holung suchte sie im Familienkreise. Sie zeigte sich als zärtliche
und zugleich strenge Mutter und überwachte genau die Beschäfti¬
gungen ihrer Kinder. Ihrem Gemahl war sie eine musterhafte
Gattin. Nach seinem Tode bewohnte fie nie mehr die Zimmer
der Burg, wo sie mit ihm gelebt hatte; alles sollte in demselben