206. Ehristiania. 
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Der Schwede überschätzt gern die Vorzüge und die Tapferkeit seines 
Volkes. Er ist stolz ans dessen Helden und große Könige, stolz ans 
deren Antheil an der Geschichte, stolz auch auf seinen Freiheitssinn. 
Der Schwede ist von heißer, heftiger Sinnesart, meist sanguinisch- 
cholerischen Temperaments. Leicht wird er von einem Gefühle ergriffen 
und hingerissen. Er ist edelmüthig, empfindsam gegen fremdes Unglück, 
dessen er sich thätig annimmt, aber eben so leicht kann er in den Aus¬ 
brüchen seiner Leidenschaft roh, hart und grausam sein und eine Ge¬ 
fühllosigkeit an den Tag legen, die in Erstaunen setzt. 
Der Adel ist zum Theil verarmt, herabgekommen, zum Theil aber 
wahrhaft patriotisch gesinnt, voller Vaterlandsliebe, der größten, edelsten 
Opfer fähig, ernsten Studien und Beschäftigungen ergeben. Der Bür¬ 
gerstand liebt seine Privilegien, sein Zunft- und Gewerbezwangwesen. 
Der reichere Theil drängt sich an die höheren Stünde, an den Adel, 
hat gern Excellenzen und Betitelte an seinen Tafeln, will besonders in 
Stockholm gern als Officier bei der Bürgergarde paradiren, irgend ein 
Bändchen oder Titelchen erhaschen; aber, obwohl es schlecht genug in 
diesem selbstsüchtigen, wenig gebildeten Stande steht, so tauchen auch in 
ihm schon manche Bessergesinnte auf. 
Der Bauernstand ist leider vielfach in Armuth, Elend und Laster, 
besonders in Trunksucht und Faulheit versunken, aber gerade in ihm 
gibt es auch manche Beispiele seltener Geistesgaben, seltener Bildung 
und Tüchtigkeit. Ans dem Bauernstände sind die ausgezeichnetsten 
Männer hervorgegangen, und wenn Schweden sich reformiren wird, 
kann es nicht anders geschehen als von unten auf eben durch den Bauern¬ 
stand, in dem die Kraft und das Mark der Nation noch immer ent¬ 
halten ist. Der Bauernstand hat seit alten Zeiten es in Schweden 
mit den Königen gehalten, die ihm Schutz gegen die Tyrannei des 
Adels gaben. Dies Gefühl liegt tief im Volke, das Gefühl der Ver¬ 
ehrung und Unterwerfung gegen den Herrscher, der ihnen Ehrfurcht 
und Liebe einflößt. 
206. Ehristiania. 
(Nach Willibald Alexis, Herbstreise durch Skandinavien.) 
Es scheint, als habe die Natur von Süden aus einen Riß ver¬ 
sucht, die skandinavische Halbinsel für die zwei Volksstümme zu theilen. 
Dies ist der Fjord von Ehristiania. Sie hielt inne, weil nördlich der 
große Kiölen^) das Werk vollendete. Aber die Völker kehren sich nicht 
an die Theilung. Noch jetzt bewohnt der Normanne die östlichen Ufer 
des Fjords, und längs diesem führte unser Weg nach Ehristiania. Erst 
*1 Der Verfasser gebraucht diesen Namen in der bekannten unrichtigen Aus¬ 
dehnung.
	        
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