Full text: Vorschule der Geschichte

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Spessarte vor sich gehen, daher habe ich den Wein dorthin bringen 
lassen. Ich weiß aber hier bei einer Linde einen frischen Quell, 
dort mögt ihr euren Durst stillen." Siegfried war dazu bereit, und 
sogleich brachen alle Jäger auf. Da sprach der treulose Hagen 
weiter: „Ich habe immer gehört, daß niemand imstande ist, Sieg¬ 
fried im Laufe zu folgen, so schnell soll er sein. Könnten wir doch 
das einmal sehen!" „Ihr möget das mit mir versuchen," antwortete 
der Held; „ich will mit meinen Kleidern, Waffen und meinem Jagdzeuge 
laufen, ihr aber könnt es ledig thun." Da liefen die drei, Günther 
Hagen und Siegfried ab; aber so schnell die beiden andern auch 
waren, Siegfried gelangte zuerst zur Stelle. So groß sein Durst 
nun auch war, er trank doch nicht eher, als bis Günther heran¬ 
gekommen war und getrunken hatte. Da erst legte er seine Waffen 
beiseite und bückte sich über den Quell. Diesen Augenblick hatte sich 
Hagen zur Mordthat ersehen. Schnell entfernte er Siegfrieds Bogen 
und Schwert, ergriff den Speer, spähete nach dem Zeichen auf dem 
Gewände und stieß die Spitze hinein, daß ein roter Blutstrahl aus 
der Wunde hervorschoß; darauf floh er eilig davon. So war er 
nie vor einem Manne gelaufen, wie vor dem todeswunden Helden. 
Als dieser zur Besinnung kam, sprang er auf und suchte nach seinen 
Waffen, während die Speerstange aus seiner Achsel emporragte. 
Als er aber nicht fand, was er suchte, ergriff er seinen Schild, 
rannte hinter dem Fliehenden her, erreichte ihn und hieb so gewaltig 
auf den Mörder ein, daß der Wald von den Schlägen erscholl, und 
das edle Gestein von dem Schilde zur Erde siel. Hagen strauchelte 
unter solchen Schlägen, und ihm wäre die Stunde des Todes ge¬ 
kommen, hätte der Wunde ein Schwert gehabt. 
Aber nun schwand diesem die Straft; seine Farbe verblich, er 
fiel in die Blumen, und das Blut rann wie ein Strom aus der 
Wunde. Da rief er: „Wehe, ihr bösen Feiglinge, übel habt ihr 
an euren Freunden gehandelt, eure Schande wird euch von allen 
guten Rittern trennen, eure Kinder werden noch an ihr zu tragen 
haben. Mich dauert nichts so sehr auf Erden, als Kriemhilde, mein 
Weib. Wollt ihr mir, o König, auf dieser Erde noch irgend eine 
Treue erzeigen, so laßt sie euch empfohlen sein; denn sie ist ja eure 
Schwester." Er rang nicht mehr lange, denn die Waffe des Todes 
schnitt ihm allzu sehr in das Leben. So mußte der edle, tapfere
	        
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