Full text: Leitfaden für die biographische Vorstufe des Geschichtsunterrichts

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Er konnte sich nun nach dem Gesetze selbst eine Strafe zuerkennen, 
und da erklärte er, wenn er das müsse, so sei es die, daß er auf 
Kosten des Staates erhalten werde. Dies war ein Lohn, der nur 
den ausgezeichnetsten Männern zu teil wurde. Deshalb hielten 
die Richter solche Rede für Hohn, und jetzt verurteilten ihn auch 
achtzig von denen, die vorher für ihn gestimmt hatten, zum Tode. 
Run segelte aber gerade das heilige Schiff ab, welches die Athener 
jährlich nach der Insel Delos schickten, und vor der Rückkehr des- 
selben, die erst nach dreißig Tagen erfolgte, durfte kein Verurteilter 
hingerichtet werden. So wurde denn Sokrates ins Gefängnis 
geführt, und er benutzte die ihm noch bleibende Frist zu Unter- 
Haltungen mit seinen Schülern, um sie in der Weisheit und Tugend 
noch mehr zu befestigen. Am vorletzten Tage kam Kriton zu ihm. 
Derselbe hatte den Gefangenwärter bestochen, und Sokrates sollte 
nach Thessalien entfliehen; doch dieser verschmähte die Flucht. So 
erschien der Tag seines Todes. Seine Schüler fanden ihn ohne 
Fesseln. Er nahm Abschied von seinem Weibe und seinen drei 
Kindern, die zu ihm kamen, und unterhielt sich dann mit seinen 
Schülern über die Unsterblichkeit der Seele. Einer seiner Schüler 
fragte ihn, wie er begraben sein wolle. „Wie es euch beliebt," 
sagte er, „wenn ihr mich nämlich dann haben werdet, und ich euch 
nicht entgehe. Ich kann euch doch nicht überzeugen, daß nur der 
der eigentliche Sokrates ist. welcher jetzt mit euch spricht, und nicht 
der tote Leib, den ihr bald sehen werdet; den mögt ihr begraben, 
wie ihr wollt." Gegen Sonnenuntergang brachte der Gefangen- 
Wärter den Becher mit dem Schierlingstrank. Sokrates fragte, 
wie er es zu machen habe. Dann nahm er mit heiterer Miene 
den Giftbecher, betete zu den Göttern, sie möchten ihm den Über- 
gang in das Jenseits leicht sein lassen, und leerte darauf den 
Becher mit einem Zuge. Ruhig sprach er weiter zu seinen weinen- 
den Schülern, im Kerker auf und nieder gehend, bis das Gift zu 
wirken anfing. Dann legte er sich nieder und verhüllte sein Gesicht. 
Noch einmal richtete er sich auf und sagte zu Kriton: „Wir sind 
dem Asklepios einen Hahn schuldig. Versäumt nicht, ihn zu 
opfern!" — 
Alkibiades. 
§ 23. Jugend des Alkibiades. — Zu den Schülern 
des weisen Sokrates gehörte auch Alkibiades. Derselbe war 
aus einem sehr reichen und edlen Geschlecht, das sich rühmte, von 
Ajax abzustammen. Nach dem frühen Tode seines Vaters wurde 
er in dem Hause seines Verwandten Perikles erzogen, welcher 
damals an der Spitze von Athen stand und der größte Staats- 
mann war, der jemals dort lebte. Als Kind, als Jüngling und 
als Mann _ war Alkibiades unter allen Athenern der schönste. 
Dabei besaß er glänzende Geistesanlagen, aber ebenso war er 
eitel, leichtsinnig, mutwillig, und liebte ein genußreiches Leben. 
Selbst Sokrates, den er vor allen ehrte und liebte, konnte ihn 
Wernicke, Leitfaden. 2
	        
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