— 109 —
bis auf das Forum. Hier hatte eine Anzahl Greise, die einst die
höchsten Stellen in der Stadt bekleidet hatten und jetzt nicht fliehen
wollten, ihren Sitz genommen, entschlossen, sich einem freiwilligen
Tod zu weihen. Sie erschienen den Barbaren in ihrer feierlichen
Amtstracht und in ihrer unbeweglichen und würdevollen Haltung wie
Götterbilder. Endlich wagte es ein Gallier, einen der Greise am
Barte zu zupfen, um zu sehen, ob erlebe; als aber dieser ihn erzürnt
mit seinem elsenbeinernen Stabe über den Kopf schlug, ergrimmten
die Barbaren und töteten die Greise sämtlich. Die Stadt brannten
sie nieder; das Kapitol aber auf feinem steilen Felsen vermochten sie nicht
einzunehmen. So begannen sie es zu belagern. Die Besatzung hielt
tapser aus; doch wäre es den Galliern beinahe gelungen, sie zu
überrumpeln. Denn sie hatten einen verborgenen Pfad entdeckt, auf
dem sie unbemerkt die Burg ersteigen zu können hofften, und so ver-
suchten sie bei Nacht einen Überfall. Schon waren die Vordersten
im Begriff, die an jener Stelle ganz niedrige Mauer zu übersteigen,
als Marcus Manlius, ein Patrizier, durch das Geschrei der
heiligen Gänse der Juno aus dem Schlafe geweckt, rasch herbeieilte,
den ersten der Feinde niederstieß, den zweiten über die Mauer zu-
rückstürzte und so das Kapitol rettete. — Nach siebenmonatiger Be¬
lagerung ließen sich die Gallier, von Hunger und Pest bedrängt,
gegen ein Lösegeld zum Abzüge bereit finden. Beim Abwägen des
Geldes aber, so wird erzählt, hätten sie falsches Gewicht genommen,
und als die Römer sich darüber beklagt hätten, habe der Brennus
mit den Worten: „Vae victis!" (Wef)e den Besiegten!) auch noch sein
schweres Schlachtschwert in die Wagschale geworfen. Aber gerade da sei
Kamillus, der inzwischen zurückgerufen und zum Diktator ernannt
worden war, mit dem Entsatzheere gekommen. Mit dem Rufe:
„Nicht mit Gold, sondern mit Eisen erkaust der Römer seine Frei-
heit!" habe er die Streitenden getrennt, die Gallier vertrieben und
die Vaterstadt gerettet. Darum sei er als zweiter Gründer Roms
gepriesen worden.
§ 57
Der erste Sanmitenkrieg und der Latinerkrieg um 340.
_ Erst nach diesem Unglückstage an der Allia und der allmählichen
Besiegung der noch oft wieder einbrechenden Gallier hörte in
Rom der Streit zwischen Patriziern und Plebejern völlig auf, und