fullscreen: Bilder aus dem westlichen Mitteldeutschland (Bd. 6)

298 Einleitendes. 
Rainweg für Rennweg zu stutzen gesucht. In dieser Auffassung mag denn die 
heutige Bedeutung des Rennsteigs liegen: aber seinen ursprünglichen Zweck hat 
man damit wohl weder sachlich, noch sprachlich getroffen. Noch heute stehen 
Grenzsteine in Menge auf dem Rennsteig, um Gebiets- oder forstliche Grenzen 
zu bezeichnen; aber Wege werden ja doch nicht zur Scheidung, sondern zur Ver- 
bindnng angelegt. Die Scheide ist das Gebirge selbst, und das Dasein eines 
solchen Weges beweist nur, wie ununterbrochen diese Scheidungslinie ist. Wenn 
es Geschichte wäre, was uns als thüringische Sage berichtet wird, daß jeder 
Landgraf bei Antritt der Herrschaft mit seinen Vasallen den Rennsteig abreiten 
mußte, so würde das ein Akt der Besitzergreifung sein, verbunden mit einer 
Prüfung der Grenze. Wanderungen werden den Rennsteig entlang heutzutage 
selten unternommen, weil fie im einzelnen nicht lohnend genug sind, namentlich 
der Abwechselung zu wenig bieten. Der Gedanke der Grenze gibt dem Wege 
seine Bedeutung: und die Möglichkeit, die sich wiederholt bietet, gleichzeitig 
rechts nach Franken, links nach Thüringen hineinzuschauen, gibt ihm seinen Reiz. 
Doch um dieses Reizes willen braucht man ihn nicht abzuwandern; man braucht 
ihn nur an gewissen Stellen zu überschreiten oder ihm eine Strecke lang zu 
folgen, etwa von der hohen Sonne bis zur Schmücke, auf welcher Strecke an- 
fangs noch die Berge der Rhön groß und bedeutend in das Auge fallen. An 
dieser Stelle mag sich Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen am ersten Tage 
feiner Weltfahrt auf dem Rennsteig gedacht haben. Nirgends ist es schöner 
geschildert, wie dieser Blick in das fremde Süddeutschland neben dem Bewußt- 
sein des nachschauenden Thüringerlandes eine Heimattreue thüringische Seele 
berührt. „Er sah sich an der Schwelle der Ferne, in die er oft vergebens von 
den nahen Bergen geschaut und die er sich mit sonderbaren Farben ausgemalt 
hatte. Er war im Begriff, sich in ihre blaue Flut zu tauchen. Die Wunder- 
blume stand vor ihm; und er sah nach Thüringen, welches er jetzt hinter sich 
ließ, mit der seltsamen Ahnung hinüber, als werde er nach langen Wanderungen 
von der Weltgegend her, nach welcher sie jetzt reisten, in sein Vaterland zurück- 
kommen, und als reise er daher diesem eigentlich zu." Die blaue Ferne winkt 
ihm verheißungsvoll, aber die nachschauende Heimat hält ihn fest; er wendet 
seinen Blick ihr wieder zu und erfährt es in diesem Augenblick, daß das End- 
ziel jeder Wanderung doch die Heimat ist. 
Z>ie alte chrenzscheide zwischen Würingen und Kranken. So 
scharf und bestimmt der Rücken des Thüringer Waldes namentlich in seiner 
nordwestlichen Hälfte gezogen ist, so ist doch das ganze Gebirge zu schmal, 
um nicht leicht überschreitbar zu sein und für sich selbst eine Völkerscheide 
zu bilden. Es gehört heutzutage zu den wegsamsten Gebirgen Deutschlands. 
Aber auch in altgermanischer Zeit hatte es nicht hindern können, daß das 
Thüringische Reich sich nach Norden bis über den Harz, nach Süden bis nahe 
an die Donau erstreckte. Selbst als es im Anfange des 6. Jahrhunderts den 
nördlichsten Teil an die Sachsen, den südlichen an die Franken verlor, behielt 
es am Südabhange des Thüringer Waldes noch Besitzungen, die erst 735 oder 
786 infolge einer Verschwörung, die thüringische Grafen gegen Karl den Großen 
angestiftet hatten, verloren gegangen sind. Freilich scheint damals schon die 
Südseite als die fränkische Seite betrachtet worden zu sein; denn Einhard
	        
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