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durch Schriftsteller, wie Voltaire und Rousseau, über Volksrechte aufqeklärt
wurden. So stieg der Unwille immer höher. Als nun endlich der Finanzminister
dem Könige 1786 erklärte, dass er kein Geld mehr zusammenbringen könne, ae-
riet dieser m die höchste Bestürzung und versammelte die Notabeln, die an¬
gesehensten Männer. Diese beschuldigten den Minister der Verschwendung, wussten
aber selbst nicht zu helfen. Um das Volk zu beruhigen, versprach der König
die Stande zu berufen, und ernannte Necker, einen Liebling des Volks, zum
Fmanzmtnister. Am 5. Mai 1789 kamen die Stände in Versailles zusammen.
Diese verlangten Abschaffung der großen Not und Bestätigung ihrer früheren
Rechte. Einige hatten freilich die Absicht, den Thron umzustürzen, wozu besonders
Orleans geraten haben soll, der sich dann selbst zum Könige machen wollte.
Wiewohl m dieser Versammlung viel Uneinigkeit herrschte, so ging bis jetzt doch
noch alles ruhig ab. Als aber der niedre Adel, die niedre Geistlichkeit und der
Burgerstand zusammentraten und sich auf den Rat des Abbö Sieyes zu einer
Nationalversammlung verbanden, gerieten die Vornehmen in die größte
Bestürzung und verlangten, dass diese Versammlung ausgelöst werden sollte, was
zu thun der König keinen Mut hatte.
§. 93. Leiden und Tod Ludwigs XVI. Um vor einem Volksanf-
stände gesichert zu sein, versammelte der König bei Versailles ein Heer von 50,000
Mann; serner entließ er den Minister Necker. Dies und das verbreitete Gerücht,
der König wolle Paris belagern, veranlasste einen Aufstand des Pöbels im Juli
1789. Die Bastille wurde zerstört. Der König bekam in Versailles Nach-
ncht davon und ließ dem Volke sagen, dass er Necker zurückberufen und die
Soldaten von Paris entfernen würde. Auf den Wunsch des Volkes erschien er
sogar selbst in Paris, wurde aber unfreundlich empfangen. Nachdem der König
nach Versailles zurückgekehrt war, versammelte sich der Pöbel unter Anführung
eines Lumpenführers mit Äxten, Spießen u. dergl. und zog nach Versailles.
Ihm folgte bald ein Teil der Bürger unter Anführung La Fayettes,
Um 5 Uhr des Morgens am 6. Oktober begann der Aufruhr. Weiber und
Meuchelmörder drangen in das Schlofs, die Wachen wurden erstochen, die Königin
entfloh aus ihrem Bette und wurde nur durch einen treuen Soldaten gerettet.
La Fayette wandte alle Mühe an, den Pöbel zurückzuhalten. Der König und die
Königin zeigten sich mit ihren Kindern auf dem Balkon und versprachen dem
Volke, nach Paris zu kommen. Noch an demselben Tage reiste der König ab
und hatte unterwegs die gräflichsten Verhöhnungen des Volkes zu ertragen.
Der königlichen Familie wurde das Schloß der Tuilerien zum Wohnsitz angewiesen.
Die Nationalversammlung (1790) machte nun nach ihrem eignen Willen
neue Einrichtungen. Frankreich wurde in 83 Departements geteilt, und die
Güter des Königs wurden eingezogen. Der Tag (14. Juli), an welchem im
vergangnen Jahre die Bastille zerstört worden war, wurde zur Erinnerung durch
nn großes Fest auf dem Märzfelde gefeiert. Der König durfte Paris nicht mehr
vertanen. Als er nach St. Cloud reisen wollte, wurde sein Wagen angehalten,
und er muffte zurückkehren. So sehr hatte er von seiner Macht verloren. Unter
den Anführern bildeten sich mehrere Parteien, die Jacobiner, welche sich im
Jacobinerkloster versammelten, und die Cordeliers, in einer ehemaligen Bar-
süßlerkirche. Der König sah ein, dass eine Flucht für ihn jetzt am ratsamsten
sei. In der Nacht vom 20. zum 21. Juni 1791, als bereits seine Brüder Paris
verlassen _ hatten, bestieg er mit der königlichen Familie in Begleitung einiger
Treuen etnen Reisewagen und gelangte bis nach S t. Menehould. Hier wurde
er von dem Postmeister Drouet erkannt, welcher ihm bis nach Varennes