Metadata: Deutsches Lese- und Bildungsbuch für höhere katholische Schulen

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Diese Worte gaben mir meine Geistesgegenwart zurück. Rosko peitschte 
erbarmungslos auf die Pferde ein, und die armen Thiere machten eine letzte 
gewaltige Anstrengung. Ich steckte die Pistolen vorn in meinen Pelz und 
stand aufrecht mit geschwungenem Kolben im Schlitten. 
War es diese drohende Haltung, war es die erneute Schnelligkeit der 
Pferde, die unsere Feinde einen Augenblick stutzen machte, genug, wir gewan¬ 
nen einen Vorsprung, der zwar unbedeutend, in unserer Lage aber dennoch 
unschätzbar war. Ich sah mich um, und dicht neben uns die offene Thüre der 
Hütte. Rosko stieß ein lautes Frendeugeschrei aus, indem er die Pferde an¬ 
hielt und von feinem Sitze sprang. „Wir sind da! wir sind da!" rief er. 
„Jetzt keinen Augenblick verloren!" 
Unterdessen hatte sich Aninia von ihrer Ohnmacht erholt und mit be- 
wundernswerther Geistesgegenwart den Schlitten verlassen; Rosko folgte ihr, 
die noch immer ohnmächtige Kammerfrau aus den Armen; ich blieb zuletzt. 
Als wir in die Hütte eingetreten waren, entriß mir der alte Diener das Ge¬ 
wehr und eilte wieder hinaus. Voll Staunen blickte ich ihm nach, und in¬ 
dem ich ihm mit den Augen folgte, sah ich, daß die Wölfe im nächsten Mo¬ 
ment in zahlloser Menge bei uns sein würden. Ich rief Rosko und beschwor 
ihn, sich nicht nutzlos einer Gefahr auszusetzen; aber seine Absicht war be¬ 
reits erreicht. Mit zwei gewaltigen Peitschenhieben trieb er die Pferde im 
Galopp davon; dann kehrte er zur Hütte zurück, auf welche eben die beiden 
vordersten Ungeheuer zusprangen. Er tödtete beide mit dem Kolben des Ge¬ 
wehres, trat zu uns ein und schob die Riegel vor die feste Eichenthür der 
Hütte. Es war hohe Zeit! 
Vergebens würde ich die Gefühle zu schildern versuchen, von denen ich 
in jenem Augenblicke ergriffen wurde. Viele Jahre sind seitdem verflossen, 
viele Ereignisse habe ich erlebt; aber noch immer sind jene Momente meinem 
Gedächtnisse mit unverminderter Frische gegenwärtig. 
Als Rosko die Pferde angetrieben (die einzige Möglichkeit, sie vielleicht 
zu retten), hatte er die Geistesgegenwart gehabt, die brennende Laterne vom 
Schlitten zu reißen. Während nun die Wölfe draußen heulten, während sie 
gegen die Thüre sprangen und die mit starken Läden verschlossenen Fenster 
zu erklettern bemüht waren, untersuchten wir das Innere unseres Zufluchts¬ 
ortes. 
Wir fanden nichts als nackte Erdwände; eine Erdbank zog sich an der 
einen Seite hin; in einer Ecke lag etwas halbverfaultes Stroh; daneben aber 
fanden wir einen unbezahlbaren Schatz, einen hinlänglichen Vorrath von 
trockenem Holz, um uns vierundzwanzig Stunden gegen die Kälte zu schützen. 
Der alte Diener zündete damit sogleich ein Feuer an, und eine wolthuende 
Wärme verbreitete sich durch die Hütte. ' Der Rauch zog durch eine Oeffnung, 
welche man zu diesem Zwecke in den Jagdhütten zu lassen pflegt. 
Mit Entzücken betrachtete ich jetzt meine geliebte Schwester, die neben der 
Kammerfrau kniete, welche sie mit Hilfe einiger Tropfen eines geistigen Ge¬ 
tränks bald zum Bewußtsein zurückrief. Dann lagerten wir uns um das 
wolthuende Feuer, und während wir unsere Feinde draußen heulen hörten, 
wünschten wir uns Glück, ihnen entronnen zu fein. 
Rur der alte Rosko schien gefühllos gegen die Gunst zu sein, welche der 
Himmel uns gewährt hatte. Er warf finstere Blicke in die Flammen; feine 
Stirne war gefurcht, und von Zeit zu Zeit schüttelte er den Kopf. Doch ich 
fühlte mich so glücklich, daß ich darauf wenig achtete. Plötzlich hörten wir 
draußen einen durchdringenden Schrei und sahen uns erschrocken an; der 
Schrei war so stark, daß er aus keiner Menschenbrust kommen konnte; bald
	        
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