Full text: Deutsche Lebensbilder und Sagen für den Geschichtsunterricht auf der Mittelstufe höherer Mädchenschulen

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seinem Schwerte: da sinkt mit einem gräßlichen Schrei Kriemhild neben ihrem 
Todfeinde Hagen nieder. 
„Mit Leid war beendet des Königs hohes Fest: 
Wie stets die Freude Leiden zum allerletzten giebt." 
4. Gudrun. 
1. In alten Zeiten hieß die Nordsee das „deutsche Meer". An dessen 
Küsten wohnte das wackere Volk der Friesen. Über sie herrschte einst der 
König Hettel mit seiner Gemahlin Hilde. Diese hatte er auf eigentüm- 
liche Weise gewonnen. Sie war nämlich von ihrem Vater Hagen, dem 
Könige von Irland, einem gewaltigen Recken, der die Stärke von 26 Männern 
besaß, wie ein Kleinod gehütet worden, und wer um sie warb, der setzte 
sich einem schmachvollen Tode aus. 
Da hatte aber Hettel drei seiner Helden abgeschickt, die Hilde für ihn 
gewinnen sollten: seinen Erzieher, den Markgrafen Wate, einen wahren 
Riesen mit grimmigem Antlitz, der trotz Alters mit den Jüngsten in Kampfes- 
lust wetteiferte und den Dänenfürsten Frute mit seinem Neffen Horand, 
die guten Rat zu finden wußten. Sie erlangten als Kaufleute verkleidet 
Zutritt zu Hagens Burg; so schwer es ihm auch wurde, Wate mußte sich 
doch dazu verstehen, im Frauengemach zu sitzen und die Königin und ihre 
Tochter zu unterhalten. Als sie ihn fragten, ob es ihm bei ihnen gefiele, 
war er freilich aufrichtig genug zu bekennen, daß ihm die wilde Feldfchlacht 
lieber sei. Scherzend erkundigten sie sich bei seinen Gefährten, ob er denn 
zu Hause auch Weib und Kind besäße, und ob er diese auch manchmal 
herzte und küßte. Da erfuhren sie, daß er wohl eine Familie hätte, doch 
seit früher Jugend schon ein gefürchteter Haudegen wäre, und fo fanft er 
sich hier auch stellte, wie ein grimmer Eber im Kampfe stritte. Das zu 
hören erfreute König Hagen, und schnell erbot er sich, dem Fremden kunst- 
volle Hiebe zu lehren; doch erkannte er bald, daß Wate ihm gewachsen 
wäre im Schwerterkampfe. 
Ihrem Ziele kamen die Abgesandten Heitels noch viel näher, als 
Horand seinen herrlichen Gesang anstimmte, einen Gesang, daß selbst die 
Vögel zu fingen aufhörten vor dem lieblichen Tone, und Hilde ihren Vater 
bat: „Lieb Väterlein, heiße ihn, uns noch neue Lieder fingen!" Dadurch 
bekam Horand die Gelegenheit, der Königstochter zu erzählen von Hettel, 
seinem Herrn, und er wußte sie schließlich zu bereden, ihm als Königstochter 
nach Friesland zu folgen. 
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