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fließt. Mehr ist zu beklagen, daß ihm die nötige Besonnenheit, Umsicht und Vorsicht,
der sichere Takt im Handeln abging, um ein einigermaßen großes Ganzes zu über¬
schauen und zu leiten."
Über alle Schwächen und Fehler dieser großartigen Natur breiten sich die Strahlen
5 seines hohen Geistes und seines liebekräftigen Gemütes so siegreich aus, daß die star¬
ken Schatten seines Lebens zwar nicht zu verkennen sind, aber das Gesamtbild des¬
selben und seine erhabenen Gestaltungen von jedem Betrachtenden stets mit Bewun¬
derung und Liebe werden angeschaut und gewürdigt werden.
176. Gverberg als DornialschuHehrer.
t0 Nach K. F. Krabbe und G. H. v. Schubert.
Overberg trat mit dem 1. März 1783 in sein neues Amt. Die ihm gestellte
Aufgabe war: in einem zwei- bis dreimonatlichen Lehrkursus, der jährlich während
der Herbstferien gehalten werden sollte, den Schullehrern eine Anleitung zum Schul¬
unterrichte zu geben, ihnen die nötigen Schulkenntnisse beizubringen und bei der
15 Mitteilung derselben die Methode des Unterrichts zu veranschaulichen.
Die ersten Zöglinge der Normalschüle waren meist schon im Alter vorgerückte
Lehrer, denen es nicht selten außer den notwendigen Kenntnissen und Geschicklichkeiten
auch an Anlagen, Bildungsfähigkeit, Lust und innerem Berufe für ihr Amt fehlte.
Wer Overberg in den ersten Jahren seines Wirkens zwischen zwanzig bis dreißig
20 alten Landschullehrern, die an einem großen Tische um ihn saßen, sah, der hatte Ge¬
legenheit, die himmlische Geduld des Mannes zu bewundern, auf dessen Gesicht sich
stets die liebevollste Freundlichkeit malte; seinen Mut und sein Vertrauen auf Gott
zu bewundern, das ihn trotz aller Hindernisse an dem Erfolge nicht verzweifeln ließ.
In der ersten Zeit erteilte er allen Unterricht allein, vormittags von 9 bis 12 Uhr
25 in der Methode des Schulhaltens, in der Religion und biblischen Geschichte, des
Nachmittags im Lesen, Schreiben, Rechnen. In den Nebenstunden nahm er diejenigen,
welche am wenigsten unterrichtet waren, auf sein Zimmer, um ihnen nachzuhelfen.
Zn seiner eigenen Vorbereitung, auf welche er jederzeit mit der größten Gewissen¬
haftigkeit bedacht war — noch in den letzten Jahren seines Lebens widmete er der-
30 selben anderthalb Stunden vor jeder Lektion — blieb ihm nur die Nacht übrig. @1‘
kürzte die Zeit der Ruhe bis auf fünf Stunden ab; als er aber noch länger wachen
wollte, forderte die Natur ihr Recht; er wurde krank und mußte hinfort dem Schlafe
wieder fünf Stunden gönnen. Erst nach Verlauf mehrerer Jahre wurde ihm die Arbeit
dadurch erleichtert, daß ihm ein Hilfslehrer beigegeben wurde, und daß nicht mehr
35 ausschließlich alte Lehrer, sondern meistens junge Lehrer die Normalschule besuchten;
doch brachten auch diese nur geringe Vorkenntnisse und noch weniger Bildung mit,
und ihre Anzahl wuchs mit jedem Jahre, so daß sie endlich über hundert stieg.
Overberg begnügte sich keineswegs damit, seine Zöglinge für ihr Amt notwendig
abzurichten, sondern war auf das eifrigste bemüht, sie von innen heraus für dasselbe
40 tüchtig zu machen. Eine schwere Aufgabe für eine so kurze Zeit! Er löste sie auf
folgende Art.
Er nahm zuerst das Gemüt seiner Zuhörer in Anspruch, indem er ihnen von
dem Standpunkte der Religion die hohe Würde des Lehramtes, seinen in die Ewigkeit
reichenden Einfluß und die unendliche Wichtigkeit der damit verbundenen Pflichten
45 vor Augen stellte. Die Lehre, welche er seinen Zöglingen so nachdrücklich einprägte,
daß nur dasjenige, was vom Herzen komme, auch wieder zu Herzen gehe, bewährte
sich im höchsten Maße an seinem eigenen Vortrage. Die Fülle seiner Seele sprach
sich in Ton, Miene und Gebärde aus. Seine außerordentliche Darstellungsgabe
vollendete den Eindruck. Erschütternd war seine Rede, wenn er das Verderben
. 50 schilderte, welches ein schlechter Schullehrer anrichtet, und den Fluch ünd die Strafen,