84
II. Lebensbilder aus der Deutschen Geschichte.
IntSung. Aber nach wenigen Jahren — am 20. März 1890 — schieden sich
des jungen Kaisers und des greisen Kanzlers Wege. Es waren schwere
Tage, war dem Kaiser doch so weh ums Herz, als habe er seinen Groß-
Vater noch einmal verloren.
fleS?erS^rt War nun der Fürst auch nicht mehr der leitende Staatsmann, dem
seines Volkes. Volke war er doch der treue Berater geblieben. Schatten, die sich zwischen
dem Kaiser und ihm erhoben hatten, zerstreute die herzliche Anteilnahme,
die der Monarch an der Genesung des schwer erkrankten Fürsten nahm,
und ganz Deutschland jubelte, als der Kaiser den greisen Helden in
Friedrichsruh besuchte, „als Deutschlands Kaiser gastet wieder bei dem,
der Deutschlands Dom gebaut".
Unzählige wanderten seit dem Scheiden Bismarcks ans seinen Ämtern
nach dem Ruhesitze des Fürsten, nach Varzin und Friedrichsruh, wie sie
ihm vorher auf einer Reise durch Deutschland allerorts zugejubelt hatten.
Allen, ob aus dem Norden oder dem Süden, aus dem Westen oder dem
Osten des Vaterlandes, ob gereiften Männern, ob lebensfrischen Studenten,
ob hoch oder gering, stärkte seine freundliche, herzergreifende Rede die
Liebe zu Kaiser und Reich, blieb sein Anblick eine weihevolle Erinnerung
fürs ganze Leben.
Und die Männer kamen nicht allein, sie brachten ihre Frauen und
ihre Töchter mit. Darüber freute sich der Fürst am meisten. Auf den
Glückwunsch der Klasse einer Höheren Töchterschule hat er besonders
freundlich geantwortet, und als die Westpreußen ihm huldigten, küßte er
das junge Mädchen, das ihm einen Blumenstrauß überreichte.
Zn seinem achtzigsten Gebnrtstage war unser Kaiser der erste, der
ihm seine Glückwünsche übersandte, uud wie sein siebzigster, so wurde auch
sein achtzigster Geburtstag ein Nationalfeiertag.
Am 30. Juli 1898 schloß Bismarck die Augen zum letzten Schlummer.
Über seinem Grabe rauscht der deutsche Wald, auf seinem Sarge steht
die von ihm selbst gewühlte Inschrift: „Ein treuer deutscher Diener.Kaiser-
Wilhelms I."
be§ Wie der Kaiser das Andenken des großen Mannes ehrte, indem er
seiner Hülle in Berlin an der Seite seiner Vorfahren die letzte Stätte
bereiten wollte, so erheben sich wie für Kaiser Wilhelm I. auch für den
Fürsten Bismarck überall in Dentschlands Gauen Denkmäler und Gedenk¬
türme, von denen am Abend des Sommer-Sonnenwendtages die lodernden
Feuer verkünden, daß Deutschlands großer Kanzler nicht vergessen ist
von seinem Volke.
Druck von Karl Marquart in Leipzig.