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Lebensbilder aus der vaterländischen Geschichte 
Wein Abschied zu nehmen. Tags darauf suchte er, von den weinenden 
freunden geleitet, das Augustinerkloster in Erfurt auf, um in der stillen 
Zelle den Frieden der Seele zu finden. Tttit Unverdrossenheit und 
heiligem Eifer widmete er sich seinem neuen Berufe, obwohl er zu den 
niedrigsten Dienstleistungen angehalten wurde. Gehorsam besorgte er 
die verächtlichsten Arbeiten: das Ausfegen und Heinigen der Zellen, das 
Betteln in den Gassen Erfurts, mit dem Sack auf dem Rücken, um für das 
Kloster Brot, Eier, Käse und Geld zu erlangen, hiermit glaubte er ein 
Gott wohlgefälliges tDerf zu tun; auch erfüllte er mit mönchischer 
Frömmigkeit die ihm nach der Klosterregel auferlegten Kasteiungen: das 
Wachen und Kasten, das Beten und die körperlichen Züchtigungen. Da¬ 
neben studierte er fleißig die heilige Schrift, die an einer großen Kette 
lag, womit man vor Zeiten wertvolle Bücher gegen Diebstahl verwahrte. 
Berufung Aber auf diesem Wege fand Luther nicht den Frieden der Seele, nach dem 
tmtteiSLrg er lechzte. Das Gefühl, daß er ein Sünder sei, und daß er auf diese Weise 
der Sünden nicht ledig werde, ängstigte ihn so, daß er krank und elend 
wurde. Da kam ihm durch die tröstende Zuspräche eines vorgesetzten 
eine andere Überzeugung: der Mensch werde nicht durch Werke selig, 
sondern allein durch den Glauben an die göttliche Gnade. Dieser Glaube 
gab ihm ein neues Leben und richtete ihn in seiner Zerschlagenheit wieder 
auf. BTit Eifer versenkte er sich in die Werke seines (Drdensheiligen, des 
Augustinus, las von neuem in der heiligen Schrift und machte Gottes 
Wort zur alleinigen Richtschnur seines Lebens. Durch diese Studien er¬ 
warb sich Luther eine solche Gelehrsamkeit, daß ihn der Kurfürst Friedrich 
der Weise von Sachsen als Lehrer an die neugegründete Universität 
Wittenberg berief. Dort predigte er zugleich in der Schloßkirche. 
Der flbia&. Durch seine Wirksamkeit als Seelsorger und Prediger kam Luther mit dem 
^attbei |n unmittelbare Berührung und wurde gewahr, welcher Mißbrauch mit 
der Lehre vom Ablaß getrieben wurde. Der Papst hatte damals bestimmt, 
daß alle diejenigen, die zum Ausbau der Peterskirche in Horn Geld bei¬ 
steuerten, durch diese fromme Gabe von den kirchlichen Strafen für be¬ 
gangene Sünden befreit werden sollten, sofern sie aufrichtige Reue emp¬ 
fänden und Buße getan hätten. Über die bezahlte Summe erhielt man 
eine Quittung — einen Ablaßzettel. Die Verkündigung und der Vertrieb 
des Ablasses war in Deutschland dem Etzbischof von Mainz und Iftagde- 
bürg übertragen worden, und in seinen Diensten stand der Dominikaner¬ 
mönch Setzei. Dieser hatte nur das eine im Auge, möglichst viel Geld 
einzusammeln, und trieb unerhörten Mißbrauch mit der heiligen Sache, 
so daß sich im Volke die irrige Ansicht verbreitete, man könne die Ver¬ 
gebung der Sünden durch Geld erkaufen. Auch von Luthers Beichtkindern 
gingen einige, denen er die Freisprechung von den Kirchenbußen versagt 
hatte, weil bei ihnen von aufrichtiger Reue nichts zu spüren war, zu Setzei, 
holten sich einen Ablaßschein und zeigten diesen trotzig vor, wenn Luther 
wahre Buße und Zerknirschung des Herzens von ihnen verlangte.
	        
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