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vermindern bei ihnen den Abscheu vor dem Bruch desselben. Der Fürst 
steht so an der Spitze einer patriarchalischen Familie uud er kann sich 
durch nichts auszeichnen, als durch größeren Mut uud andere persön- 
liche Eigenschaften, die ihn über die Masse erheben. In allen andern 
Rücksichten steht er aus derselben Stufe mit den andern, und der 
Gedanke, diese seiner Willkür zu unterwerfen, kann sich nie in ihm er- 
heben. Ein junger Fürst, der vielleicht soeben allen Mut, den sein 
Rang erfordert, in der Schlacht gezeigt hat, kann nicht wagen, sich in 
Gegenwart eines Greises zu setzen, ehe er dazu Erlaubnis erhalten 
hat. Seine einzigen Vorrechte bestehen darin, daß er die Hälfte der 
Beute, die dem Feinde abgenommen wird, und die Hälfte des Ertrages 
der Zölle erhält. 
Gastfreundschaft ist eine Tugend, die bei den Cirkassiern in großer 
Ehre steht, und ihre Rechte sind geheiligt; aber um ihrer zu genießen, 
muß man sich einen Beschützer unter ihnen gewählt haben. Dies ist 
jedoch nicht schwer, und ein kleines Geschenk reicht dazu hiu, indem 
die gewählte Person sich immer durch den Vorzug geschmeichelt fühlt. 
Sie wird dadurch der Wirt (Konak) des Gastes, und ist auf der einen 
Seite ihren Landsleuten für das Betragen des Gastes, und diesem für 
seine Sicherheit uud sein Eigentum verantwortlich. Sobald man dieses 
Bündnis eingegangen, ist man einer herzlichen Aufnahme und bereit- 
willigen Dienstfertigkeit sicher. Die Cirkassier habeil einen gewissen 
Stolz, den ihnen ihre Erziehung und ihr Verkehr mit den Türken 
gegeben hat, allein sie sind wahrer Freundschaft fähig, wenn man ihnen 
dazu entgegenkommt. 
Die Religion der Cirkassier ist ein Gemisch von halbvergessenem 
Christentum und von Erinnerungen an älteren Götterdienst. Sie haben 
Priester, welche vor Altären, die mit Kreuzen geheiligt werden, Opfer 
verrichten, welche im Schlachten von Schafen, Ziegen und Ochsen be- 
stehen, denen zuvor Wein aus den Kops gegossen wird. Sie erkennen 
einen Gott und eine Mutter Gottes an, aber die Geschichte der letztern 
ist auf die sonderbarste Art mit der der Göttin der Bienen vermischt. 
Die himmlischen Mächte niederer Klassen nennen sie Apostel; besonders 
angesehen sind drei Göttinnen, die Eintracht stiften und über Reisende 
wachen; ihnen wird geopfert, ehe man die Reise anfängt, und wenn 
man das Ziel derselben erreicht hat. Sie haben eine Menge von 
Festen, deren heiligstes das Osterfest ist, wobei sie sich einen Monat 
lang des Essens von Eiern enthalten. 
Sie essen nie Fleisch, als wenn sie ein Opfer gebracht, und wenn 
sie Fremde bei sich haben; bei diesen Gelegenheiten wird das Essen 
nach türkischer Art auf kleinen runden Tischen aufgetragen, der Fremde 
ißt allein, der Hausherr und seine Familie stehen ehrerbietig hinter 
ihm. Der Fremde bietet dem einen und dem andern Stücke von dem, 
was ihm ausgetragen wird, an. und wenn er von einer Schüssel ge- 
gessen hat, so kommt sie an den Hausherrn, nach ihm an seine Familie,
	        
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